Benson, Ann - Alejandro Canches 02 - Die brennende Gasse
er weitere Fragen gestellt, verzichtete jedoch widerstrebend darauf. Ich darf sie nicht erschrecken oder mit Fragen bestürmen, bis sie verstummt, warnte er sich selbst, denn es sieht so aus, als könnte man viel von ihr lernen. Einen Augenblick lang gab er sich damit zufrieden, sie nur anzusehen, diese Mädchenfrau mit der cremigen Haut, dem goldenen Haar und den unglaublichen Rundungen, in deren Gesellschaft er plötzlich geraten war. Er ertappte sich bei dem Gedanken: Solche Wunderwerke bringt die Natur selten hervor. Er wandte den Blick von ihr ab und sah wieder nach den Pferden.
»Ich bin schrecklich hungrig«, eröffnete sie ihm nun. »Jetzt, da wir endlich rasten, schreit mein Magen danach, gefüllt zu werden. Habt Ihr irgend etwas zu essen?«
»Keinen Bissen«, gestand er. Sie hatten einen Obstgarten durchquert, aber es empfahl sich nicht, Rast zu machen, bevor sie vor Verfolgung sicher waren. Mit großem Bedauern hatten sie die Früchte zurückgelassen.
»Habt Ihr eine Waffe bei Euch, mit der man jagen könnte?« fragte sie.
»Nur mein Schwert.«
»Dann werden wir uns damit begnügen müssen.« Sie hob ihren Rock und zog ein Messer aus ihrem Strumpf. Es war klein und schmal, aber die Klinge glänzte hell, und Karle hielt es für sehr scharf.
»Ihr seid voller Überraschungen, Jungfer«, stellte Karle fest.
» Père hat mir immer eingehämmert, bereit zu sein, von einem Augenblick zum nächsten aufzubrechen. Er sagt, ich müsse stets mit dem Unerwarteten rechnen.«
»Strömt aus dem Mund dieses Mannes denn nichts als Weisheit? Sagt er nicht einmal etwas Törichtes? Niemals?«
Sie kicherte leise. »Er ist ein Mann, der nicht viele Worte macht. Die meisten sind Perlen. Aber laßt uns jetzt nicht davon sprechen. Ich werde häuten, was Ihr fangt«, wechselte sie das Thema. Dann nahm sie ein kleines Glasstück aus ihrer Rocktasche, um Feuer zu entzünden, wie sie sagte, »und auch zum Braten«.
»Ich fürchte, fürs Jagen mangelt es mir an Übung«, bekannte er.
»Dieses Schwert hat sich in letzter Zeit häufiger gegen Menschen als gegen Tiere erhoben.«
»Und bevor Ihr ein Schwert trugt, seid Ihr da nicht mit einem Bogen umgegangen?«
»Nicht mehr seit meiner Knabenzeit«, gestand er unglücklich.
»Ich wurde zu einem Buchhalter in die Lehre gegeben, der im Dienste eines Edelmannes aus der Picardie stand. Bevor ich mich diesem Aufstand anschloß, habe ich mehr mit Zahlen als in den Wäldern zu tun gehabt. Ich mußte viel lernen, weil ich, wie mein Meister sagte, einen klugen Kopf habe. Sogar einige französische und lateinische Buchstaben kenne ich und bin sehr geschickt darin, die Bücher zu führen.«
»Zweifellos hat Eure Bescheidenheit dazu beigetragen, Euren Meister von Eurem Wert zu überzeugen«, sagte Kate trocken.
»Ich habe die Arbeit so gut ausgeführt wie nur möglich.«
»Daran zweifle ich nicht«, pflichtete Kate ihm bei, »und sicher billiger. Sehr zum Nutzen Eures Meisters.«
»In der Tat!« Karle nickte. »Es sind immer die Herren und Damen, die von den Mühen ihrer Untertanen profitieren. Ich habe meinen Lohn gespart, bin zum Meister gegangen und versuchte mehrmals, mich von der restlichen Dienstbarkeit freizukaufen. Glücklicherweise war ich nicht verheiratet und gezwungen, eine Frau und Kinder zu erhalten. Aber trotzdem wollte ich vorankommen. Als Vorbereitung auf eine Zeit, in der ich vielleicht eine eigene Familie haben würde. Aber er hat mir meine Freiheit immer verweigert.«
Kate hörte die große Bitterkeit, das Bedauern in seiner Stimme und hatte Mitgefühl mit seiner traurigen Situation. »Mir scheint, mit dieser Weigerung hat er Euch mißbraucht«, sagte sie sanft.
»Aber in diesem Augenblick müssen wir für etwas Nahrung sorgen. Wenn Ihr vergessen habt, wie das geht, rückt heraus mit der Sprache.«
Sein Schweigen war beredter als alle Worte, die er hätte äußern können. Resigniert erhob sich Kate von ihrer Rast, um mit ihrer Arbeit zu beginnen. »Ich werde eine Falle bauen, und wenn Gott über uns wacht, fangen wir ein Kaninchen. Knusprig gebraten mag ich sie am liebsten. Es gefällt mir nicht, wenn ich noch Junge darin finde, aber die brauchen wir ja nicht zu essen. Obwohl wir sie, da wir hungrig genug sind, sicher recht schmackhaft finden …«
Als sie ins Gebüsch schlüpfte, war er froh, daß sie aufhörte, über den Wohlgeschmack von ungeborenen Kaninchen zu sprechen; aber er behielt sie im Auge, als sie sich ans Werk machte. Er hörte das Rascheln,
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