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Beobachter

Beobachter

Titel: Beobachter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Link
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blöd, hielt es aber wohl nicht für gefährlich.«
    »Riet Carla ihr zur Scheidung?«
    »Ich weiß es nicht. Die beiden haben sich manchmal leise miteinander unterhalten, aber ich weiß nicht, worüber.« Nancy machte ein schuldbewusstes Gesicht. »Ehrlich gesagt, ich fand die beiden ziemlich langweilig. Wir anderen hatten richtig Spaß miteinander, und diese beiden verschlossenen Trauerklöße … Ich habe irgendwann gar nicht mehr so auf sie geachtet. Liza fehlte sowieso recht häufig.«
    »Gab sie dafür Gründe an?«
    »Gesellschaftliche Verpflichtungen. Na ja, das leuchtete schon ein bei der Stellung ihres Mannes. Ellen war trotzdem etwas verärgert deshalb.«
    »Dass ihr Mann sie zeitweise auch daran gehindert haben könnte zu kommen, ist ausgeschlossen?«
    »Nein, natürlich nicht. Aber ich kann nur wiedergeben, was sie sagte. Wir haben da nicht groß nachgehakt.«
    »Hat Liza einmal die Ärztin ihres Sohnes erwähnt? Die Kinderärztin Dr. Anne Westley?«
    »Nein. Nie. Wieso?«
    Christy ging auf die Frage nicht ein. »Und worüber sprach Carla Roberts?«, fragte sie. »Wenn sie sprach, meine ich.«
    »Also, Carla hatte riesige Probleme«, sagte Nancy. »Sie war eine gebrochene Frau. Der Mann mit der Sekretärin weg, die Firma im Konkurs. Carla hatte über Nacht alles verloren. Das Haus kam unter den Hammer … Sie fand sich plötzlich in einer Drogerie wieder, wo sie Kisten auspackte und Regale einsortierte, um sich irgendwie über Wasser zu halten – jedenfalls bevor sie schließlich in Rente ging, um dann vollends zu vereinsamen. Sie konnte das alles einfach nicht fassen. Und ihre Tochter, der einzige Mensch, der ihr geblieben war, führte zunehmend ein eigenes Leben.«
    »Ja, die Tochter kümmerte sich wohl sehr wenig um ihre Mutter.«
    »Na ja«, Nancy zuckte mit den Schultern, »so sind die jungen Leute heute. Denen geht es um sich, um ihr Leben, ihre Zukunft. Als mein Mann plötzlich mit einer anderen Frau daherkam und mich um die Scheidung bat, fiel ich auch in ein schwarzes Loch, das können Sie mir glauben. Und meine Kinder habe ich wenig gesehen in der Zeit. Die hatten ihr Studium, ihre Freunde … Wochenenden mit der heulenden Mutter standen da nicht allzu hoch im Kurs.«
    Christy dachte wieder einmal, dass sie klug beraten gewesen war, als sie sich gegen ein klassisches Familienleben und gegen Kinder entschieden hatte. Sie gewann oft den Eindruck, dass man heutzutage nur noch ausgemachte Egoisten großzog.
    Sie trank den letzten Schluck Kaffee, nahm ihre Karte aus der Tasche und schob sie Nancy über den Tisch zu.
    »Hier. Bitte rufen Sie mich an, wenn Ihnen irgendetwas einfällt. Irgendetwas, das Carla oder Liza gesagt oder auch nur beiläufig erwähnt haben. Alles kann von Bedeutung sein.«
    »Ich denke auf jeden Fall nach«, versprach Nancy.
    3
    Das Grundstück war ungewöhnlich groß, selbst für Hampstead, und da John ungefähr über die Quadratmeterpreise in den verschiedenen Londoner Stadtteilen Bescheid wusste, konnte er ermessen, was die Stanfords für ihr Anwesen hingeblättert haben mussten. Das Haus lag ein gutes Stück von der Straße zurück und war zwischen den alten, hohen Bäumen, die dicht beieinanderstanden und selbst zu dieser Jahreszeit, ohne Laub, eine ziemlich hermetische Wand bildeten, nur unvollkommen zu erkennen. John prüfte kurz, in welcher Richtung Süden lag, und stellte fest, dass die Bäume vor allem im Sommer Licht und Sonne fast vollkommen schlucken mussten. Das Haus konnte nur im ständigen Schatten liegen. John fragte sich, wie jemand ein gigantisches Vermögen für eine Villa mit parkähnlichem Grundstück hinlegen konnte, um dann in einer Düsternis zu leben, die er in jeder Hinterhofwohnung billiger hätte bekommen können. Dass Liza Stanford unter Depressionen leiden sollte, wunderte ihn auf einmal nicht mehr allzu sehr.
    Er wollte gerade die Klingel, die zusammen mit einer Überwachungskamera gleich neben dem schmiedeeisernen Tor angebracht war, betätigen, als er einen Jungen sah, der durch den verschneiten Garten kam. Er lief nicht über die penibel geräumte Auffahrt, sondern stapfte mitten durch den Schnee. Er zog einen Schlitten hinter sich her, eine Art rote Plastikuntertasse mit einem kleinen geformten Sitz. John musste an die Holzschlitten seiner Kindheit denken.
    Es hatte sich viel verändert seitdem.
    Der Junge öffnete das Tor und entdeckte in diesem Moment erst den Mann, der dort stand und wartete. Er zuckte zusammen.
    »Hallo«, sagte er

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