Beobachter
hatte zu dem Mittel gegriffen, das er kannte: Gewalt.
»Glauben Sie, dass Sie der Lösung des Falles näher gerückt sind?«, fragte Samson schüchtern.
John antwortete wahrheitsgemäß: »Das kann ich nicht sagen. In gewisser Weise ja, aber noch scheint alles nur immer verworrener zu werden. Ich durchdringe die Sache noch nicht.«
»Sie sind meine einzige Hoffnung«, sagte Samson rasch. Er bekam rote Flecken auf den Wangen vor Aufregung. »Bitte, bleiben Sie dran. Sie sind vielleicht der Einzige, der mich entlasten kann.«
»Die Polizei macht es sich auch nicht leicht, Samson. Die wollen auch nicht den Falschen verhaften.«
»Aber denen traue ich nicht. Bitte«, er sah John beschwörend an, »helfen Sie mir. Ich halte das alles nicht mehr aus. Ich bin entwurzelt und verzweifelt. Ich möchte in mein Leben zurück. Nur das. Einfach in mein Leben zurück.«
John verbiss es sich zu sagen, dass Samsons Leben in seinen Augen wenig Anreiz darstellte, unbedingt dorthin zurückkehren zu wollen. Er kannte keine Details, aber was er wusste, klang nicht verlockend: ein Mann, der bei seinem Bruder und der Schwägerin wohnte, arbeitslos war und dem höchst eigenwilligen Hobby nachging, das Leben anderer Menschen auszuspionieren und sich eine gewisse Befriedigung offenbar über die Identifikation mit fremden Lebensläufen zu verschaffen. Die eigene Schwägerin hatte in seinem PC gestöbert und seine Aufzeichnungen eigenhändig zur Polizei gebracht, um ihn ans Messer zu liefern. Allzu harmonisch schien es in der Familie Segal nicht zuzugehen.
Dennoch: Es war Samsons Leben. Und selbst wenn er unglücklich war darin, so war es das Leben, das er kannte. Mit dem er gelernt hatte, umzugehen. In dem er sich irgendwie zurechtfand und das ihm vertraut war.
Verglichen mit dem Dasein eines Mannes, der auf der Flucht vor der Polizei lebte und keine Ahnung hatte, wann dieser Zustand enden würde, erschien es als Paradies.
»Ich tue, was ich kann, Samson«, versprach er. »Sie können sicher sein, dass …«
In diesem Moment klingelte das Telefon.
John entschuldigte sich, verließ die Küche. Das tragbare Gerät lag im Wohnzimmer auf einem Bücherstapel. Die Nummer im Display kam ihm bekannt vor, aber er vermochte sie nicht sofort zuzuordnen.
»Hier ist Kate Linville«, sagte eine weibliche Stimme am anderen Ende.
»Oh … hallo, Kate.« Deshalb war ihm die Nummer vertraut erschienen. Er wunderte sich, dass sie anrief. An jenem Abend an der Haltestelle Charing Cross hatte er geglaubt, er werde nie wieder etwas von ihr hören.
»Wie geht es dir?«, fragte sie förmlich.
»Danke. Gut. Und dir?« Was will sie? ,fragte er sich.
»Auch gut. John, ich hatte mir eigentlich vorgenommen, mich für dich keineswegs mehr auf Abwege zu begeben. Das Ganze ist zu riskant, und letztlich kann ich dabei nur verlieren.«
»Ich habe dir versprochen, dass ich dich niemals und unter keinen Umständen als Informantin preisgeben werde. Darauf kannst du dich verlassen. Ich weiß, dass ich einen schlechten Ruf habe, aber ich habe noch nie mein Wort gebrochen.«
»Das wollte ich auch nicht unterstellen. Dennoch, ein Risiko ist immer dabei.«
»Klar. Bei allem, was wir tun im Leben.«
Kate zögerte, dann fuhr sie fort: »Ich weiß auch nicht, warum ich es für nötig halte, dich zu warnen, aber … na ja, du bist mir nicht völlig gleichgültig.«
»Mich warnen?«
»Vielleicht steckt nicht viel dahinter. Aber Fielder hat sich deine Ermittlungsakte geben lassen. Ich weiß das, weil ich sie bei der Staatsanwaltschaft für ihn anfordern musste.«
»Die Akte von damals?«
»Wie viele Akten hast du? Ich meine die wegen Vergewaltigung«, sagte Kate süffisant.
»Verstehe. Er klammert mich also noch immer nicht ganz aus.« Es war nicht so, dass John diese Information vollkommen überrascht hätte. Fielder konnte ihn nicht leiden, und überdies war er in dem Fall, den er gerade bearbeitete, ziemlich ins Schwimmen geraten. Wie er wusste, war Stanford längst auf dem Radar der Ermittler, aber da er Fielder kannte, war ihm klar, dass genau dieser Umstand den Detective Inspector gewaltig in die Bredouille brachte: Wenn er sich mit Stanford anlegte und am Ende stellte sich heraus, dass dies ein Fehler gewesen war, hatte er von da an mit Störungen im Verlauf seiner weiteren Karriere zu rechnen. Wenn er eine Karriere dann überhaupt noch anpeilen konnte. Fielder war alles andere als risikofreudig. Ihm ging der Arsch auf Grundeis, und er hätte sicher etwas
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