Beobachter
die von Caines Auto stammen könnten. Aber wohin ging es dann? Vielleicht in Richtung Manchester? Tara Caines Heimat. Und dort lief irgendetwas völlig schief, denn nun ist Tara Caines Mutter tot und …«
»Mrs. Caine-Roslin wurde nicht erst jetzt getötet«, sagte Christy. »Es gibt noch keinen Obduktionsbericht, aber die Kollegen in Manchester sagen, dass sie definitiv schon seit Längerem tot in der Wohnung gelegen haben muss. Mindestens acht Wochen.«
Er starrte sie an. Was ist passiert? Warum ist es passiert?
»Das Motiv«, sagte Christy McMarrow. Sie schien eher zu sich selbst als zu John zu sprechen. »Welches Motiv sollte Staatsanwältin Caine bloß für all das haben? Ich sehe einfach keinen roten Faden!« Sie rieb sich die Augen, die gerötet waren und sehr müde wirkten. »Ich sehe keinen roten Faden«, wiederholte sie.
»Ihr müsst sie finden!«, sagte John drängend. »Ich fürchte, dass Gillian in Lebensgefahr schwebt. Ich kapiere den Sinn hinter all dem genauso wenig wie du, aber um den herauszufinden, bleibt später genug Zeit. Angenommen, Caine hat Thomas Ward ermordet, und angenommen , ihr eigentliches Ziel war Gillian, dann ist Caine jetzt genau da, wo sie sein wollte. Sie hat Gillian in ihrer Gewalt.«
»Wir werden eine Fahndung nach Mrs. Caines Wagen herausgeben«, sagte Christy, »denn vielleicht sind die Frauen tatsächlich damit unterwegs. Und im Übrigen, John: Ich weiß es zu schätzen, dass du mir vorgeben willst, was die Polizei nun zu unternehmen hat, aber glaub mir, wir wissen das selbst. Deine Mitarbeit ist hier nicht mehr erwünscht.« Sie sah ihn kalt an.
Er merkte, wie die Wut in ihm hochkochte. Bislang waren es eher Verzweiflung und Erschöpfung gewesen, die ihn erfüllten. Verzweiflung, weil er fürchtete, es werde ihnen nicht mehr gelingen, Gillian zu retten. Erschöpfung, weil ihn die letzten Tage vollkommen ausgelaugt hatten. Aber nun wandelte beides sich in Zorn. Er fragte sich, wofür Christy McMarrow sich hielt. Sie kanzelte ihn ab, behandelte ihn mit Verachtung, dabei hatte er Scotland Yard alles geliefert, was sie wissen mussten. Über Kate Linville hatte er sich ein paar notwendige polizeiliche Erkenntnisse beschafft, aber er hatte die richtigen Schlüsse gezogen, er war clever genug gewesen, Liza Stanford aufzuspüren, er hatte herausgefunden, dass Caine jedes einzelne Opfer in dieser Mordserie gekannt hatte und damit genau der Mensch war, nach dem Detective Inspector Fielder händeringend suchte. Er hatte gute Arbeit geleistet, und Christy wusste das.
Er stieß die Mauer beiseite, die sie zwischen ihm und sich errichtet hatte, seitdem sie sich am gestrigen Abend zum ersten Mal seit Jahren wieder gegenübergestanden hatten.
»Wieso, Christy?«, fragte er leise. »Wieso behandelst du mich mit dieser Feindseligkeit? Was habe ich dir getan?«
Jetzt hatte er sie erreicht. Sie gab es auf, die Unnahbare zu spielen. Sie stand auf, kam um ihren Schreibtisch herum und stellte sich dicht vor ihn. Eine kleine, mollige, wütende Person. Zum zweiten Mal innerhalb weniger Minuten konnte John die Falten der ständigen Überanstrengung deutlich in ihrem Gesicht erkennen.
»Was du mir getan hast?«, fragte sie. »Du hast mich enttäuscht, John Burton, bitter enttäuscht! Du warst einer der fähigsten Beamten bei der Met. Du warst richtig klasse. Du hattest das Zeug zu einer großen Karriere. Ich habe unheimlich gerne mit dir zusammengearbeitet. Du warst der Größte für mich. Ich habe ein Vorbild in dir gesehen. Ich hatte die Vorstellung, wir beide würden für immer ein Team sein, mit der höchsten Rate an Verbrechensaufklärungen im ganzen Yard. Meine berufliche Zukunftsplanung war eng mit dir verbunden. Und dann gehst du hin und richtest einen solchen idiotischen, überflüssigen Schlamassel an. Mit einer Praktikantin! Setzt deine ganze Karriere aufs Spiel, nur weil du deine Hormone nicht unter Kontrolle halten kannst. Ich konnte es nicht fassen damals. Ich kann es bis heute nicht fassen!«
»Ich konnte nicht ahnen, welche Register dieses Mädchen ziehen würde.«
»Aber du hättest wissen müssen, dass du mit dem Feuer spielst. Du warst ihr Chef. Sie hätte tabu für dich sein müssen! Und wenn nicht auch deine gesamte Menschenkenntnis von deiner Geilheit überlagert worden wäre, hättest du erkannt, welch eine erstklassige Neurotikerin die Kleine war. Das sah man ihr nämlich an. Sie war attraktiv und gleichzeitig total hysterisch, aber du hast natürlich nur Augen
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