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Beobachter

Beobachter

Titel: Beobachter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Link
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Tom, dem schließlich aufging, dass Samson Segal absolut nichts Unrechtes getan hatte, widerwillig.
    »W…wenn Sie mich mal brauchen … Ich hätte Zeit …«
    »Mein Schwager ist arbeitslos«, warf die Frau spitz ein und wedelte mit ihren Händen, um den Nagellack schneller trocknen zu lassen.
    »Vielen Dank«, wiederholte Tom. Er wollte nach Hause. Er fand das alles schrecklich, das wusste Gillian: die etwas zu schrille Frau mit den dunkelroten Fingernägeln, den stotternden Samson Segal, seinen müde und abgekämpft wirkenden Bruder, das überheizte Wohnzimmer, den plärrenden Fernseher. Er war wütend, und Gillian war klar, dass sich seine Wut vor allem auf sie richtete. Weil sie nicht da gewesen war. Weil sie die Situation hatte entstehen lassen.
    Auf dem kurzen Heimweg schwieg er verbissen. Auch daheim sagte er zunächst kein Wort. Erst später, nachdem Gillian Becky ins Bett gebracht und endlich geduscht hatte, meinte er plötzlich: »Ich mag den Kerl nicht. Meiner Ansicht nach ist bei dem mehr als eine Schraube locker.«
    Er lag im Bett, hielt ein Buch in der Hand, las aber nicht darin, sondern blickte an die gegenüberliegende Wand.
    Gillian stand mitten im Zimmer und kämmte ihre nassen Haare. »Wer?«
    »Na, dieser Segal. Mit dem komischen Namen. Samson. Samson Segal. Der ist nicht ganz dicht.«
    »Wieso? Er ist schüchtern und gehemmt, aber er ist sehr freundlich.«
    »Er ist nicht normal«, beharrte Tom. »Wer lebt denn schon so? Er ist mindestens Mitte dreißig und wohnt bei Bruder und Schwägerin. Kriegt kein Wort raus, ohne seine Zunge dabei zu verknoten. Es gibt keine Frau in seinem Leben, und …«
    »Woher willst du das wissen?«
    »Das spüre ich. Der ist viel zu verklemmt für eine Frau. Ich frage mich, wo er sich schadlos hält. Womöglich an Kindern!«
    Gillian schüttelte den Kopf. »Du benimmst dich unmöglich, Tom. Du hast dich vorhin schon unmöglich benommen. Mr. Segal hat genau das getan, was man als guter Nachbar tut: Er hat sich in einer Notsituation um eines unserer Familienmitglieder gekümmert. Dafür machst du jetzt schon fast einen Kinderschänder aus ihm. Ich bin froh, dass er im richtigen Moment zufällig vorbeikam. Es hätte auch jemand anderes sein können, und bei dem Gedanken wird mir ganz schlecht.«
    »Genau«, sagte Tom. Er legte das Buch zur Seite und setzte sich aufrecht hin. »Ich glaube, das genau ist es, was mich so irritiert: Wieso kam er schon wieder zufällig vorbei?«
    »Schon wieder?«
    »Erinnerst du dich an vergangenen Samstag? Als wir aus dem Haus kamen. Da stand er auf dem Gehweg direkt an unserem Gartenzaun. Was tat er da?«
    »Keine Ahnung. Er ging spazieren, blieb vielleicht ab und zu stehen und schaute sich die Häuser an. Seine Schwägerin sagte doch, dass er arbeitslos ist. Er hängt halt den ganzen Tag hier in der Gegend herum, wahrscheinlich, weil er nicht weiß, was er sonst tun soll.«
    »Er hängt vor allem vor unserem Haus herum!«, sagte Tom.
    »Weil du ihn einmal am Samstag gesehen hast?«, fragte Gillian, aber sie konnte sich nicht gegen ein etwas beklommenes Gefühl wehren. Ihr fiel Taras letzter Besuch ein. Als sie Tara zum Abschied vor die Tür begleitet hatte, war Samson Segal gerade vorbeigegangen, und Tara hatte angemerkt, dass er ihr bei ihrer Ankunft auch schon aufgefallen war. Samson Segal kreuzte in den letzten Wochen tatsächlich auffällig oft die Wege der Familie Ward.
    Dennoch mochte es sich um Zufälle handeln.
    Sie schlüpfte ins Bett, zog die Decke hoch. Übermäßig intensiv musste sie plötzlich an John denken. Es war erst ein paar Stunden her, seitdem sie mit ihm geschlafen hatte. Und jetzt lag sie wieder neben Tom und sie nörgelten einander an, weil der Abend einen ziemlichen Schrecken für sie bereitgehalten hatte.
    So fühlt es sich also an, wenn man in zwei Welten lebt, dachte Gillian, auf der einen Seite leidenschaftlicher Sex mit einem aufregenden und höchst undurchsichtigen Mann in einer praktisch leeren Londoner Mietwohnung. Und dann wieder das gepflegte Häuschen in Thorpe Bay, der übliche Ehezoff, die Sorgen um das Kind.
    »Becky muss lernen, dass sie nicht einfach mit einem Fremden mitgehen darf«, sagte Tom. »Ich dachte wirklich, das hätte sie längst begriffen!«
    Er war nicht bereit, das Thema loszulassen.
    Gillian verdrehte die Augen. »Hat sie ja auch. Aber er ist ein Nachbar – ein entfernter Nachbar jedenfalls. Sie kennt ihn zumindest vom Sehen.«
    »Ja und? Wie oft sind es genau solche Nachbarn, mit

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