Beobachter
seltsam vorgekommen, dass sie überhaupt nicht mehr zu erreichen war, obwohl er ernsthafte Interessenten gefunden und ihr diese Neuigkeit auch mehrfach auf den Anrufbeantworter gesprochen hatte. Deshalb sei er hierhergefahren. Um dann zu entdecken …
An dieser Stelle seiner Schilderung begann er so zu zittern, dass Tee auf den Boden schwappte. Fielder nahm ihm vorsichtig den Becher aus der Hand, was Palm kaum zu registrieren schien.
»Gab es irgendeinen konkreten Anlass, weswegen Sie sich Sorgen machten?«, fragte er behutsam. »Sie konnten sie nicht erreichen. Gut. Aber dass Sie extra hierherfahren … Immerhin liegt das hier nicht bei Ihnen um die Ecke. War da noch etwas? Irgendetwas, das Sie beunruhigte? Es könnte wichtig sein.«
Palm überlegte, doch ihm fiel nichts ein. »Nein. Eigentlich nicht. Ich meine, ich fand es an sich schon beunruhigend, dass eine fast siebzigjährige Frau hier völlig allein in dieser Einöde lebt. Ich dachte aber weniger an ein Verbrechen. Ich dachte eher, was ist, wenn sie zum Beispiel unglücklich stürzt, das Telefon nicht mehr erreichen kann, hilflos im Haus liegt? Niemand würde es merken.«
»Mrs. Westley hat nicht erwähnt, dass sich irgendetwas Ungewöhnliches ereignet hatte?«
»Etwas Ungewöhnliches?«
Fielder musste an den Fahrstuhl denken, der Carla Roberts kurz vor ihrer Ermordung als eigentümlich aufgefallen war. »Etwas, das sie beunruhigte?«
»Davon sagte sie nichts.«
»Weshalb wollte sie gerade jetzt hier weg? Kurz vor Weihnachten, mitten im Winter … Ist das ein typischer Zeitpunkt für Menschen, ihren Wohnsitz zu verändern?«
»Das ist eher untypisch«, musste Luke Palm zugeben.
»Was nannte sie Ihnen als Grund?«
»Dass es ihr hier zu einsam sei. Es war ihr schon lange viel zu einsam. Sie sagte das nicht direkt, aber ich konnte heraushören, dass sie es wohl aus Loyalität zu ihrem verstorbenen Mann so lange ausgehalten hatte. Das alles hier war vor allem seinProjekt. Sie hatte Hemmungen, das Anwesen zu verscherbeln, nachdem er unter der Erde war. Aber inzwischen hielt sie es einfach nicht mehr aus.«
»Sie nannte aber keinen konkreten Auslöser?«
»Nein.«
»Die Kollegen hier aus dem Ort sagten mir, Sie seien Ihren Angaben zufolge letzte Woche, am zehnten Dezember, hier gewesen, um sich alles anzusehen. Und Sie meinen, das war der Tag, an dem sie auch ermordet wurde?«
»Der Kalender«, sagte Palm leise, »in der Küche. Der steht immer noch auf dem zehnten Dezember. Deshalb vermute ich das.«
»Ihnen ist absolut nichts aufgefallen, als Sie hier waren?«
»Nein.«
»Standen weitere Autos unten auf dem Parkplatz?«
»Nein.«
»Und als Sie wegfuhren, bog auch kein anderes Auto ein?«
»Nein. Leider.« Palm schüttelte den Kopf. »Ich würde Ihnen gerne helfen. Aber da war nichts. Jedenfalls nichts, was ich bemerkt hätte.«
An dieser Stelle war Christy McMarrow ins Zimmer gekommen und hatte Fielder nach oben gebeten.
»Die Kollegen von der Spurensicherung«, sagte sie, »haben etwas gefunden.«
Oben stand ein Beamter vor der Badezimmertür und hielt ein durchsichtiges Tütchen in der Hand, in dem das Projektil einer Schusswaffe lag.
»Damit hat er offensichtlich die Tür geöffnet, hinter der sich das Opfer verbarrikadiert hatte. Er hat das Schloss kaputtgeschossen.«
»Interessant.« Fielder betrachtete das Projektil aus zusammengekniffenen Augen. »Am anderen Tatort wurde ja keine Spur einer Schusswaffe gefunden. Er sollte daraufhin aber noch einmal sehr genau untersucht werden.«
»Sir, er wurde bereits …«
»Trotzdem. Morgen geht noch einmal ein Team in die Wohnung von Carla Roberts.«
Das ganze Wochenende lang waren die Ermittlungen weitergelaufen. Hinweise auf den Gebrauch einer Schusswaffe wurden in Carla Roberts’ Wohnung trotz einer erneuten akribischen Suche nicht gefunden. Anne Westley wurde in der Gerichtsmedizin obduziert. Die Ergebnisse lagen Christy an diesem Montagmorgen vor. Sie nahm einen Schluck Kaffee und sagte: »Die Rechtsmedizin bestätigt die Vermutungen des Maklers, was den Tatzeitpunkt angeht. Der zehnte Dezember erscheint als äußerst wahrscheinlich. Der elfte käme auch infrage, aber dagegen spricht tatsächlich der Kalender.«
»Woran ist sie gestorben?«, fragte Peter Fielder. »Ist sie auch an ihrem Erbrochenen erstickt?«
»Nein. Der Täter hat ihr das Tuch mit größter Brutalität immer wieder in den Rachen gestoßen, aber offenbar wurde kein Brechreiz ausgelöst. Er hat ihr schließlich die
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