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Beraubt: Roman

Beraubt: Roman

Titel: Beraubt: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Womersley Chris , Thomas Gunkel
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wer du bist.«
    »Und wie kann ich mir sicher sein, wer du bist?«
    Sie lächelte wieder.
    Quinn streckte die Hand nach ihr aus, doch sie wich so schnell zurück, dass sie die auf einer Metallplatte stehende Kerze umstieß. Die Flamme flackerte, bevor sie zischend erlosch. Das Zimmer versank in Dunkelheit und war vom Wachsgestank des Dochtes erfüllt. Quinn prallte gegen einen Stuhl oder eine Kiste und fluchte. Er kramte in seinen Taschen nach Streichhölzern und zündete die Kerze wieder an. Heißes Wachs brannte auf seiner Hand. Es dauerte einen Moment, bis sich seine Augen an das Licht gewöhnt hatten, und als sein Sehvermögen zurückkehrte, sah er Sadie mit einem großen Messer in der Faust auf der anderen Seite des Zimmers stehen, ihr Gesicht angstverzerrt. »Ich hab doch gesagt, du sollst mich nicht anfassen«, warnte sie ihn mit leiser Stimme.
    Quinn hockte reglos da. Dann hob er den Finger, um auf seine eigene Lippe zu deuten. »Du hast ein Stück Orange am Mund, das ist alles.«
    Aber Sadie war schon verschwunden.
    Später lag Quinn noch, solange er konnte, wach, doch schließlich übermannte ihn der Schlaf. In der Nacht wachte er nach Luft schnappend auf, sein Haar und sein Hals von den Resten eines unangenehmen Traums wie mit Spinnweben überzogen. Sein erster Gedanke war, dass sie mit dem Messer auf ihn eingestochen hatte. Er knöpfte seine Uniformjacke auf und erwartete, feuchtes, klebriges Blut an den Fingern zu spüren. Es war dunkel. Heiß und dunkel. Dunkel und heiß. Ein bohrender Schmerz in seinem Bauch. Er rollte sich auf dem Holzfußboden so eng zusammen wie möglich, wurde zu einem sich krümmenden Knäuel, wie er es bei Verwundeten gesehen hatte. Er hörte das dumpfe tapp, tapp, tapp des barfüßigen Mädchens. Dieses wahnsinnige Mädchen, wie auch immer sie hieß. Sadie. Scheiße. Sie hatte es auf ihn abgesehen. Was für eine Vorstellung, alles zu überstehen, was er überstanden hatte, nur um von einem wahnsinnigen Waisenmädchen in den Bauch gestochen zu werden.
    Er tastete nach irgendwas, das er als Waffe benutzen konnte, fand aber nichts. Er war hoffnungslos desorientiert. Er stieß mit dem Kopf an den eisernen Fuß des Ofens, rutschte über die Dielen auf die Zimmerecke zu. Der Revolver. Wo war sein Revolver? Noch immer kramte er in seinen Taschen. Stimmt ja. Er hatte den Revolver verloren.
    Plötzlich stand sie neben ihm, erst war nur ihre Silhouette zu erkennen, ihr matt leuchtendes Gesicht vor der noch tieferen Dunkelheit, sie sagte irgendwas, das er wegen seines lauten Atems nicht verstand. Er schlurfte rückwärts und riss die Hand hoch, um Sadie abzuwehren, doch sie war stärker, als er gedacht hatte – oder er schwächer –, und als sein Atem langsamer ging und er aufhörte, sich zu wehren, hörte er trotz des Dröhnens seiner Schwerhörigkeit, dass sie nichts Bestimmtes sagte, zumindest keine Worte, nur ein leises scht scht scht .
    Das Mädchen huschte davon und kam wenig später zurück. Sie zündete eine Kerze an und rührte mit dem Finger eine Flüssigkeit in einem Blechbecher um. Dann hielt sie ihm den Becher an den Mund. »Trink das.«
    Die Flüssigkeit in dem Becher war trüb und roch nach nichts Bestimmtem, höchstens ganz leicht nach Apotheke.
    »Natron mit Wasser«, sagte sie. »Das Beste, was man trinken kann, wenn man Gas abgekriegt hat. Ich hab gehört, wie Tom Smith davon sprach, und hab eine ganze Packung für dich besorgt.«
    Quinn schnupperte daran und trank es. Das Gebräu schmeckte ein bisschen bitter, doch seine Bauchschmerzen ließen nach. Sadie hatte ihm die Hand unter den Hinterkopf gelegt, um ihm beim Trinken zu helfen. Ihre Hände rochen noch nach der Orange, die sie gegessen hatten, ihr Atem duftete wie ein frisch bewässerter Obstgarten. Weinend und prustend stürzte er das Ganze hinunter. Seine Dankbarkeit war erschütternd. Er konnte sich nicht erinnern, wann sich zum letzten Mal jemand so liebevoll um ihn gekümmert hatte. Selbst die Krankenschwestern in Harefield waren forsch gewesen, ihr englischer Frohsinn straff über die Krankensäle gespannt. Und es stimmte ja auch: Ständig starben Männer, sie wurden tagtäglich, mit Bettlaken zugedeckt, nach draußen geschoben oder, sobald sie wieder laufen konnten, nach Frankreich zurückgeschickt.
    Mehrere Minuten verstrichen, bevor Sadie sich von ihm losmachte.
    »Danke«, sagte er.
    Sie schlurfte über den Fußboden, und er hörte das körnige Ratschen eines Streichholzes, mit dem sie eine weitere Kerze

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