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Beraubt: Roman

Beraubt: Roman

Titel: Beraubt: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Womersley Chris , Thomas Gunkel
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anzündete. Der Lichtschein, der sie umgab, warf ihren Schatten hinter ihr an die Wand. Das Messer hielt sie immer noch in der Faust.
    »Und jetzt musst du etwas für mich tun«, sagte sie.
    14 Quinn kniete mit nacktem Oberkörper auf dem Fußboden, sein schmutziges Unterhemd neben ihm. In seinen Bauchfalten sammelte sich der Schweiß. Mit der linken Hand zog er die Haut über seinem Brustkasten straff. Sadie, wieder ganz kindlich, hockte, das Kinn in die Hände gestützt, in der Nähe und beobachtete ihn. Er wusste nicht, warum er ihrer Bitte nachkam, hoffte aber, dass es wenigstens ihre offensichtliche Sorge lindern würde. Er hielt das Messer in der freien Hand und zog es zweimal schnell vor seiner glänzenden Brust durch die Luft. »Hier? Ungefähr so?«
    Sie nickte.
    »Muss das denn unbedingt sein? Reicht es nicht, wenn ich dir mein Wort …?«
    »Nein.«
    »Das ist bloß ziemlich seltsam.«
    »Na los. Tu’s endlich.«
    Draußen kreischten Fledermäuse in den Bäumen. Er stellte sich vor, die Geräusche kämen von einem uralten Mann, der etwas suchte, das er verlegt hatte, Dutzende winziger, an rostigen Angeln befestigter Schranktüren aufriss und wieder zuschlug. Heutzutage war fast nichts ausgeschlossen. Er drückte die Klinge auf seine Haut und ritzte sich ein schartiges Kreuz in die Brust. Einen Augenblick nichts – dann schwarzes Blut.
    Auf dem Truppentransportschiff, das sie zur Ausbildung in den Nahen Osten gebracht hatte, hatten sich manche Soldaten Muster in die Haut geritzt und die Wunde mit einer Paste aus Ruß und Öl bestrichen, eine feine Tätowierung, die für immer auf ihren Körpern blieb. Sie gravierten die Namen ihrer Liebsten, ihrer Mütter, der Stadt, aus der sie stammten, oder des Bataillons, dem sie angehörten, in ihre Haut. Aber was Sadie hier von ihm verlangte, war etwas anderes – halb Strafe, halb Versprechen.
    Er streckte die Hand nach dem feuchten Lappen aus, den sie bereithielt, um das Blut abzuwischen, doch sie schüttelte den Kopf.
    »Du musst die Worte sagen, sonst bedeutet es nichts.«
    Quinn fühlte sich an Sarah erinnert und daran, dass kleine Mädchen immer ausgeklügelte Regeln für Dinge hatten, die man im Voraus nicht wissen konnte. Oft waren Spiele nur ein Vorwand für neue Verhaltensrichtlinien und endeten damit, dass genau festgelegt wurde, wie man Verstecken oder Schnippschnapp richtig spielte. Eines Frühlingstages hatte sich Sarah geweigert, irgendwas zu essen oder zu trinken, wenn sich Quinn und der wütende William nicht als Kobolde verkleideten, um eins von Sarahs Gedichten über eine Akrobatentruppe aufzuführen, die auf einen geheimnisvollen Volksstamm stieß. Wie immer löste der Gedanke an seine Schwester in ihm ein seltsames Gefühl aus, als hätte sich in seinem Innern eine Grube aufgetan, die so tief war, dass sie ihn vollends verschlucken konnte.
    Inzwischen war das Blut aus den beiden Schnittwunden bis zu seinem Bauch hinabgerieselt. Quinn kniete noch und richtete sich auf, damit seine Hose nicht besudelt wurde, doch es war zu spät. Die Wolle an seiner Taille verfärbte sich bereits dunkel. »Ich schwöre es bei meiner Seele«, sagte er. »Und jetzt gib mir den Lappen.«
    Sadie kam grinsend angekrochen. Sie zog den klitschnassen Lappen aus einer flachen Schale mit Wasser. Sie drückte ihn auf seine Haut – erst ganz zärtlich, ihn nur leicht berührend, dann fester – und wischte das Blut weg, das schon in seinem Brusthaar geronnen war. Die Wunden taten nicht weh, und Quinn empfand sie als eine Art Befreiung. Während er beobachtete, wie sich Sadie ihrer Aufgabe widmete, rechnete er halb damit, aus den beiden blutigen Kiemen, die jetzt in sein Fleisch geritzt waren, Rauch aufsteigen zu sehen.
    Am nächsten Morgen sah Quinn ein seltsames Bündel an der Dachtraufe hängen, das zunächst wie die zerfaserten Überreste eines Vogelnests aussah. Bei näherer Betrachtung stellte er jedoch fest, dass es aus mehreren dünnen Knochen konstruiert war, die vielleicht wirklich von einem Vogel stammten, zusammengebunden mit schwarzen Haaren und getrockneten Queckenhalmen. Das zarte, prähistorisch aussehende Knäuel raschelte in seinen Händen. Er ließ den Blick über das Verandadach wandern und entdeckte zwei weitere Bündel, die beide wie das erste mit einem Baumwollfaden an einen Balken gebunden waren. Sadie war irgendwo draußen. Seit er aufgewacht war, hatte er sie noch nicht gesehen. Er nahm die Bündel herunter, betrachtete sie in seiner Hand und hängte

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