Bereue - Psychothriller (German Edition)
sollte, redete er weiter. “Sie ham Abitur, da können’S ned so bled sein. Warum ham’S nix Gscheids gelernt?”
Wie redete der Kerl mit ihm. “Bastle gern”, rechtfertigte er sich. Es war doch egal, warum er nicht studiert hatte wie so viele seiner Mitschüler. Er wollte nun mal kein Anwalt oder Ingenieur sein. Nein, er wollte nur in Ruhe gelassen werden. Die Arbeit als Mechaniker machte ihm zuweilen direkt Spaß, besonders wenn es knifflig wurde und komplizierte Lösungen gefragt waren. Sein erster Chef, der Dietmar, der war in Ordnung gewesen. Hatte ihn gelobt, anerkennend auf die Schulter geklopft, wenn er einen Oldtimer wieder in Schuss gebracht hatte. Aber leider hatte er seine Werkstatt aus Altersgründen aufgegeben. Nie wieder hatte er so einen Chef gefunden. Einen, der seine Fähigkeiten zu schätzen wusste und ihn respektierte.
Kopfschüttelnd griff der Meister nach den Unterlagen, die mit seinen Fingerabdrücken verunziert neben dem Werkzeug lagen, und reichte sie ihm. “Des werd nix mit uns.”
Dieser Mensch erlaubte sich, ihn wegzujagen wie einen Bittsteller? Die Wut kochte in Jakob hoch. Wie von einer Schnur gezogen zuckte seine Hand nach oben zu seinem Kopf. Er zwang sich, auf halber Höhe anzuhalten und die Bewerbungsunterlagen entgegen zu nehmen. Wortlos riss er sie dem Meister aus der Hand und verließ die Werkstatt. In der Tür drehte er sich um.
Die Bierflasche in der Hand griff der Mann nach dem Schweißbrenner.
Was wäre, wenn Jakob das Gerät nehmen würde und die blauen Flammen in das selbstzufriedene Gesicht hielte? Er malte sich die Schreie des Anderen aus, die Augäpfel, die hinter den versengten Augendeckeln von der Hitze zerplatzten wie überreife Kirschen.
11
Dass er noch Auto fahren konnte, überraschte ihn nicht. Nichts überraschte ihn mehr. Sein Körper funktionierte, innerlich war alles taub.
Die Gedanken in seinem Kopf sprangen von einer Zahl zur anderen. Wie ein verrückt gewordener Taschenrechner.
Er hatte 236.000 Euro Schulden bei der Bank, 76.000 bei Rikowski und kein Einkommen. Von den 560.000 Euro, die das Haus gekostet hatte, waren noch etwa 370.000 Euro offen. Fast 700.000 Euro Schulden. Wenn er das Haus verkaufte, wäre er obdachlos und immer noch mit einer halben Million verschuldet.
Wenigstens war er so vernünftig gewesen, den Aufhebungsvertrag zu unterschreiben. Ein Ermittlungsverfahren wegen Betrugs blieb ihm damit erspart. So würde niemand Externes von seiner Misere erfahren und er hatte eine Chance auf eine neue Anstellung in einer Fü hrungsposition. Doch selbst wenn er bald einen auch nur annähernd so lukrativen Job wie bei Vita Canin finden würde, müsste er die nächsten Jahre fast sein ganzes Geld in die Tilgung der Schulden stecken, die er nicht gemacht hatte. Und dann waren da noch die Zinsen.
An einer der zahllosen roten Ampeln rieb er sich die Augen und sah zum Beifahrersitz. Dort lag das gerahmte Foto von Lucky, das er aus dem Büro mitgenommen hatte. Tränen schossen ihm in die Augen, ein Schluchzen kroch in seiner Brust nach oben und erfüllte den Innenraum des Wagens. „Lucky. Es ist vorbei, alles ist vorbei.“ Er streichelte über das Foto. Wie sehr wünschte er sich, Lucky würde ihn zu Hause erwarten, voller Wiedersehensfreude. Doch es gab niemanden mehr, der für ihn da war.
Hinter ihm hupte es. Die Schlange vor ihm hatte sich aufgelöst. Wütend wischte er sich über die Augen und gab Gas. In zwanzig Minuten war er zu Hause, endlich. Er wollte nur noch alleine sein, sich zurückziehen in seine Burg. Im Kühlschrank musste noch Bier sein. Mit einem kühlen Weißbier auf die Terrasse setzen und nachdenken. Eine Zigarette rauchen.
Er bog in seine Straße ein. Von Weitem sah er einen Löschzug, Polizeiautos, einen Rettungswagen. Blaulicht zuckte, schwarzer Rauch hing über den Häusern. Beißender Gestank drang in das Fahrzeuginnere.
Das war nicht sein Haus, das durfte nicht sein Haus sein. Sein Herzschlag verstärkte sich mit jedem Meter bis zu einem schmerzhaften Hämmern. An der Absperrung bremste er und sprang aus dem Wagen. Er drängte sich durch die herumstehenden Gaffer. Fremde Stimmen raunten seinen Namen. Eine Frau mit zu viel Lippenstift hielt ihm ein Diktiergerät unter die Nase und fragte ihn etwas. Er verstand den Sinn ihrer Worte nicht und schob sie beiseite.
Seine Füße lenkten ihn auf das zu, was heute Morgen noch sein Heim gewesen war. Jetzt glänzte eine unförmige schwarze Masse in der Abendsonne.
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