Bereue - Psychothriller (German Edition)
Zurücksetzen erblickte er ein schmutziges Gesicht im Rückspiegel. Wie er aussah! Voller Erde, Rotz, Tränen. Wie der letzte Penner. So konnte er Vater nicht gegenüber treten. Im Handschuhfach fand er Taschentücher. Notdürftig rubbelte er Gesicht und Hände sauber. Der Schmutz an den Hosenbeinen war noch feucht und bildete einen braunen Schleier, das Taschentuch hinterließ weiße Fusseln. Seufzend wischte er mit der bloßen Hand darüber. Das verdreckte Sakko zerrte er sich vom Leib und warf es auf den Rücksitz, die Krawatte flog hinterher. Die Hemdsärmel krempelte er auf und öffnete den obersten Knopf.
So musste es gehen.
Langsam rangierte er aus dem Katastrophengebiet und fuhr nach Nymphenburg-Gern. Nach wenigen Minuten lenkte er den Wagen in die Zufahrt und drückte die Klingel neben dem schmiedeeisernen Tor. Durch die Gitterstäbe sah er die gekieste Auffahrt, die zu dem mit Säulen gesäumten Eingang führte.
Als Jugendlicher hatte sich hier eingesperrt gefühlt, heute war es das Gegenteil. Er war kein Teil mehr dieses Anwesens, war es vielleicht nie gewesen. Ein Fremder, der um Einlass bat.
Die Kamera schwenkte auf ihn zu, erfasste ihn. Das Tor schwang auf.
Fanny, die Haushälterin empfing ihn an der Haustür. Ihr Blick glitt über seine Gestalt und blieb an seiner verdreckten Hose hängen.
Mühsam schluckte er das herunter, was er zu gerne gesagt hätte. „Sind meine Eltern zu Hause?“
Ihr Blick huschte über sein Gesicht, um sich an einem Punkt links hinter ihm festzubeißen. „Sie sind beim Aperitif im Salon.“ Sie drehte sich um und ging ins Haus.
Mit einem Kopf voller Sägespäne, dafür ohne brauchbare Gedanken, folgte er ihr. Das Stechen in seiner Brust hatte nachgelassen, auch ging sein Atem wieder fast normal. Normal , was für ein komisches Wort. Es klang fremd, wie aus einem anderen Leben.
Fanny verschwand in der Küche, ohne ihn weiter zu beachten.
Das Foyer erschien ihm weitläufiger und erschlagender denn je, als er unter den Blicken der ausgestopften Jagdbeute seines Vaters, die zwischen antiken Waffen an den Wänden vor sich hin staubte, zum Salon ging. Er öffnete die Tür und sah seine Eltern am anderen Ende des Raumes an der riesigen Fensterfront sitzen.
Seine Mutter studierte ein Buch in ihrem ergonomischen Relaxsessel, das halbvolle Gintonic-Glas neben sich griffbereit auf dem Boden. Sein Vater hatte eine Zeitung auf dem Couchtisch ausgebreitet. Der Zeigefinger glitt über das Papier. Vermutlich war er in die Kurse der DAX-Unternehmen vertieft. Ein Glas Cognac wartete auf seine Beachtung.
Beide sahen ihm überrascht entgegen, als er an das Türblatt klopfte und auf sie zu kam. Die fünfzehn Meter über den gebohnerten Holzboden erschienen ihm wie ein Spießrutenlauf unter ihren fragenden Blicken. „Hallo. Ich hoffe, ich störe euch nicht“, begrüßte er sie.
Biller senior nickte nur mit gerunzelter Stirn und griff nach seiner Brille.
„Benjamin, mein Junge. Wie siehst du denn aus.“ Der leise Vorwurf in der Stimme seiner Mutter erinnerte ihn an vergessen geglaubte Zeiten.
Endlich hatte er den leeren Raum überwunden und stand vor ihnen. Wie ein Bittsteller. „Ich brauche eure Hilfe. Ihr erinnert euch doch, dass jemand Lucky umgebracht hat.“
Beide nickten langsam. Die Stirn seines Vaters verwandelte sich zusehends in eine Faltenlandschaft, während er Ben von oben bis unten musterte.
„Heute habe ich meine Arbeit verloren, mein Geld. Mein Haus ist abgebrannt. Ich stehe vor dem Nichts.“ Der Hoffnungsfunken in seiner Brust verglimmte unter dem kalten Blick seines Vaters. „Da will mich jemand vernichten.“ Nur den Vater nicht zu Wort kommen lassen, er hatte den Mund schon geöffnet. Mit zu lauter Stimme und wilden Gesten schilderte Ben die Schrecknisse des Tages.
Seine Mutter stand auf und ging an ihr Bücherregal. Ihr Finger glitt über die Buchrücken.
„Und was erwartest du von uns?“, bellte sein Vater.
Ben rang die Hände. „Du musst doch etwas tun können.“
Biller senior stand auf und stampfte auf ihn zu. Seine vollen, stahlgrauen Haare bewegten sich keinen Millimeter. Mit dem Ze igefinger tippte er auf Bens Brust. „Wenn du Mist gebaut hast, schaufel ihn selber weg. Mir hat auch niemand geholfen, wenn ich Probleme hatte.“
„Aber Vater! Ich habe doch nichts getan. Da steckt jemand dahinter. Ein Verrückter, der mich ruinieren will.“
„Du kannst die Schuld für deine eigene Unzulänglichkeit nicht immer bei anderen suchen.“ Der
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