Bereue - Psychothriller (German Edition)
Fenstern. Wenn sie links an ihm vorbeirannte, in einem weiten Bogen, konnte sie ihm vielleicht entkommen.
Sie machte einen Schritt nach links. Metall klirrte. Da erst sah sie die Kette, die von einem Ring in der Wand zu ihrem rechten Knöchel führte. Sie war eng darum herumgewickelt und mit einem Vorhäng eschloss fixiert. Angekettet wie Schlachtvieh.
Trotz der Kälte in ihrem Leib kroch der Schweiß aus ihren Poren. Mit einem Keuchen fiel sie auf die Knie und zerrte an der Kette. Es war unmöglich, freizukommen. Sie kauerte sich in die Ecke, wäre am liebsten in die Mauer gekrochen.
Die ganze Zeit hatte er sie regungslos beobachtet. Nun stand er auf und stellte den Stuhl beiseite.
34
Ben zappte durch Talkshows, Kochsendungen. Bei einem regionalen Sender blieb er hängen und riss die Augen auf. Ein Interview mit Rikowski, seinem ehemaligen Chef.
Evil mauzte und wand sich.
“Entschuldige.” Ohne den Blick von der Mattscheibe zu wenden, löste er seine verkrampften Finger aus dem Fell.
“... zutiefst enttäuscht. Heute Morgen musste ich auch noch in der Zeitung lesen, dass Herr Biller sein eigenes Haus angezündet haben soll.” Langsam schüttelte der alte Mann den Kopf. Sein Blick war stumpf auf einen Punkt neben der Kamera gerichtet. “Er war wie ein Ziehsohn für mich. Da ich keine Kinder habe, hatte ich mich mit dem Gedanken getragen, ihm die Firma zu überschreiben.”
Bens Kiefer verkrampften sich. Davon hatte er nicht einmal etwas geahnt.
Der Interviewer beugte sich vor. “Sie standen sich sehr nahe. Da muss ihnen die Veruntreuung wie ein persönlicher Verrat vorgekommen sein.”
“So ist es.”
“Herr Rikowski. Werden Sie nun selbst wieder die Geschäftsleitung von Vita Canin übernehmen?”
Die Fingerspitzen aneinandergelegt wiegte Rikowski den Kopf. “Einen adäquaten Ersatz für Herrn Biller zu finden wird schwer werden. Doch er hat einen äußerst fähigen Mitarbeiterstab aufgebaut. Mit der Unterstützung meiner Mannschaft wird es mir gelingen, Vita Canin weiterhin auf Erfolgskurs zu halten und alle Arbeitsplätze zu sichern.”
“Vielen Dank für das Interview.” Der Reporter drehte sich zur Kamera. “Sollten Sie sich berufen fühlen, die Geschäftsleitung einer der erfolgreichsten Firmen Münchens zu übernehmen, bewerben Sie sich!”
Fassungslos starrte Ben auf den Fernseher. Rikowski in Betracht gezogen, ihm die Firma zu vermachen. Die Vorstellung jagte blitzartige Wellen durch seinen Leib. Das Unternehmen wurde auf knapp 300 Millionen geschätzt. Das alles hatte er verloren. Genauso einen Menschen, der ihm vertraut hatte. Rikowskis Worte ließen sein Verhalten in einem neuen Licht erscheinen. Oft hatte Ben mit der distanzierten, strengen Art des Inhabers gerungen. Zu sehr hatte er ihn an seinen Vater erinnert. Doch damit hatte er ihn in die richtige Richtung weisen wollen. Als Firmeninhaber durfte man keinen Kuschelkurs fahren.
Aber darüber musste er sich keine Gedanken mehr machen. Er zappte weiter, döste berieselt von dem langweiligen Programm vor sich hin.
Kurz nach drei schaltete er den Kasten ab und frischte seinen Schmerzmittelpegel auf. Annelie müsste jeden Moment kommen. Sie sollte ihn nicht vor dem Fernseher lungernd finden. Gerne würde er sich nützlich machen, doch er fand nichts, außer Evil von der Decke zu verjagen und sie ordentlich zusammenzulegen.
Um vier war sie immer noch nicht da. Unruhig ging er vor die Tür. Der Regen hatte aufgehört, die Sonne blitzte zwischen den Wolken hindurch. Ihr Fahrrad stand an der Hausmauer. Wie war sie in die Arbeit gekommen? Vermutlich mit dem Bus.
Aus dem Flur erklang das mechanische Klingeln eines Telefons. Auf dem Garderobenschrank fand er eines dieser analogen Geräte mit Schnur in reizvollem Dunkelgrün. Ein Relikt aus den Achtzigern.
War das Annelie, die ihn erreichen wollte? Nach dem dritten Klingeln nahm er ab. “Ja?”
Schweigen, Schnaufen. “Wer ist da?”, eine eindeutig männliche Stimme. Peter? Stefan?
“Mein Name ist Ben Biller”, antwortete er kühl.
“Ist das der Anschluss von Annelie Winterberg?”
“So ist es. Sie ist im Moment nicht zu Hause. Kann ich etwas ausrichten?” Bitte keine Verabredungen, flehte er im Stillen.
“Ich versuche es später noch einmal.” Und schon klickte es in der Leitung.
Den hatte er gehörig aus der Bahn geworfen. Schadenfroh legte er den Hörer zurück auf die Gabel. Hoffentlich war Annelie nicht allzu sauer.
Annelie. Wo steckte sie nur. Er könnte im
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