Bereue - Psychothriller (German Edition)
dehnte ihre Arme, rollte die Schultern. Die Verspannungen lockerten sich ein wenig.
Auch wenn sie wusste, dass sie noch lange nicht frei war, so bedeutete ihre Selbstentfesselung doch einen Etappensieg. Und sie konnte sich gegen diese Krabbeltiere wehren.
Sie setzte sich wieder auf die von ihrem Po vorgewärmten Fliesen, bevor sie abkühlten, und befühlte das Schloss, das die Kette um ihr Fußgelenk fixierte. Die Kette war rau, Partikel wie Rost und Dreck überkrusteten ihre Finger. Das Vorhängeschloss war blitzblank.
Die Kette gehörte vermutlich zum Inventar dieser Schlachterei. Das Schloss musste Jakob mitgebracht haben. Es war groß, bestimmt fünf Zentimeter breit. Wenn sie nur ein Werkzeug hätte, mit dem sie versuchen könnte, es zu öffnen. Wie machten die das in den Filmen immer. Haarnadeln verwendete sie nicht. Ihr Gürtel vielleicht. Sie öffnete ihn und stocherte mit dem Dorn im Schloss herum. Immer wieder rutschte sie ab und stach sich in die Finger. Es war hoffnungslos. Sie hatte keine Ahnung vom Schlösserknacken.
Nachdem sie ihren Gürtel wieder geschlossen hatte, lehnte sie sich in ihre Ecke und konzentrierte sich auf die lebendige Schwärze um sie herum. Den Modergeruch, der sie anfangs hatte würgen lassen, nahm sie kaum noch wahr. Doch das Gekrabbel trieb sie in den Wahnsinn. Bildete sie sich das ein, oder wurde es tatsächlich immer lauter? Sie steckte sich die Finger in die Ohren.
Aber so konnte sie nicht hören, wenn eines der Tiere ihr zu nahe kam. Und ihn würde sie auch nicht kommen hören. Also zog sie die Finger wieder heraus und schlang die Arme um die Knie.
Sie musste hier raus. Ihre Finger folgten Glied um Glied der Kette, bis sie den Ring berührte, der in der Wand befestigt war. Mit dem Fingernagel kratzte sie am Putz herum, suchte einen Riss, einen Spalt. Da war nichts. Mit beiden Händen packte sie die Kette, stemmte die Füße gegen die Wand und zog. Minuten später ließ sie die kraftlos gewordenen Arme sinken. Die Kette hielt bombenfest. Tränen sammelten sich in ihren Augenwinkeln. Sie war ihm ausgeliefert. Hoffnungslos.
Den Hinterkopf an die Fliesen gelehnt schloss sie die Augen und stellte sich ihre Eltern vor. Ihre Finca, die Sonne, das Meer. Ihre Mutter, die sie mit ausgebreiteten Armen empfing. Im Hintergrund stand ihr Vater und lächelte. Und da war noch jemand. Sie blinzelte gegen die imaginäre Sonne.
Ein Zucken lief durch ihren Körper. War sie eingeschlafen? Unter das Gekrabbel mischte sich ein anderes Geräusch. Ein Motor. Jakob kam zurück.
Panisch zog sie das Seil zu sich heran. Wie würde er reagieren, wenn er merkte, dass sie sich davon befreit hatte? Er war unberechenbar. Der nette Junge von früher war ein Psychopath. Hektisch wickelte sie sich das Seil hinter ihrem Rücken um die wunden Handgelenke. Es brannte wie Feuer. Mit halbschaurig gefesselten Händen lehnte sie sich zurück, die Beine angezogen und starrte in die Schwärze.
Schritte näherten sich, ein kreisrunder Lichtstrahl fiel an die linke Wand. Diesmal hatte er eine Taschenlampe dabei. Mit hämmerndem Herzen starrte sie auf das Licht, das an der Wand entlang auf sie zu wanderte. Dann traf der Strahl sie. Geblendet kniff sie die Augen zu.
“Annelie!”
Das war nicht Jakobs Stimme.
Blinzelnd sprang sie auf und ging die zwei Meter, die sie zur Verfügung hatte, auf ihn zu. “Ben!” Eilig entwirrte sie das Seil um ihre Handgelenke.
Das Licht hüpfte näher. “Wo ist er?”
Sie lauschte, starrte. “Ich hab ihn nicht gesehen.”
Endlich hatte er sie erreicht. Etwas Metallenes schepperte auf die Fliesen. Eine rostige Metallstange. Damit musste er sich bewaffnet haben.
Er nahm sie so stürmisch in die Arme, dass ihr die Luft wegblieb. “Ich hatte solche Angst um dich”, flüsterte er heiser. Seine Lippen streiften ihre Stirn. “Lass uns verschwinden.” Er zog sie mit sich.
“Nein!” Die Kette klirrte, ihr Fuß wurde schmerzhaft zurückgerissen. “Er hat mich angekettet.”
Er ließ sie los. Der Strahl der Taschenlampe glitt über ihren Körper bis zu ihrem gefesselten Fuß. “Verdammt!” Er bückte sich, legte die Lampe auf den Boden und griff nach der Kette. Keuchend zog er daran, dort wo sie an der Wand befestigt war.
“Das geht nicht! Hau ab, hol Hilfe!” Ihre Stimme zitterte. Jakob musste hier irgendwo sein.
“Ich lass dich nicht mehr allein.” Ben wickelte sich die Kette um den Unterarm und zog mit aller Kraft. Ein winziges Stückchen Putz löste sich. Doch
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