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Berge Meere und Giganten (German Edition)

Berge Meere und Giganten (German Edition)

Titel: Berge Meere und Giganten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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Liebhaberinnen, zerknirschte sie gesättigt, ließ sie geängstigt liegen. Man wußte nie, womit es ihr ernst war, die kraushaarige dicklippige mit dem glänzenden schwarzen Blick, die viel und heftig weinte, sich und ihr Schicksal beklagte. Ihr Weinen war von der Art der Betrunkenen, sehr tonreich und ohne Hintergrund, mit Ungnade und ärgerlichem Lachen endend. Sie bewog alle Familien ihrer Stadtschaften die wichtigsten Waffen und Anlagen ihr und ihrem Anhang zu übergeben. Sie legte eine Zahl Anlagen nieder, weil sie nicht wußte, wie sie sich ihrer bedienen sollte und hielt sie daher für überflüssig. Sie unterschied bald eine Reihe Landschaften mit ihrer Herrschaft überziehend, Lieblingslandschaften und Dienerlandschaften. In die Dienerlandschaften legte sie die ernährenden und unterhaltswichtigen Einrichtungen; ihre Residenzen machte sie zu Leitern und Genießern dieser Arbeit.
    Sie und ihre Umgebung nahmen großartige Manieren an. Sie spielten sich offen als Herrscher und Könige auf, erschienen, Erstaunen und Wut auskostend, mit kostbarem Gefolge und strahlend in den gemeinsamen Versammlungen der westlichen Stadtschaften. Wut erregten sie, aber auch ansteckend wirkten sie. Und sie waren, Melise von Bordeaux, die schwerlockige adlernasige gelbbraune Frau, und ihr Anhang der Anstoß zur Zertrümmerung vieler Herrschaftsgruppen, für gefährliche Umwälzungen in mitteleuropäischen Landschaften, die zwar den Willen zu ähnlichem Glanz und wilder Glorie hatten, aber nicht die Verteilung von Kraft dort und Schwäche hier. Es ging in diesen mitteleuropäischen Stadtschaften, wo ein Kapaun wild werden wollte oder eine Henne sich für einen Pfau ausgab, hart auf hart. Mit heimlichen Tötungen, tückischer Gewalttätigkeit zermürbten sich die Herrschaftskreise; gewaltsam mußte die Ordnung wiederhergestellt werden. Bisweilen tat dies London. London hatte immer die Gefahr der Massenrevolte vor Augen. Es ließ eine Weile das Spiel gehen, dann stieß es wie ein Geier auf die Streitenden nieder, zwang sie stille zu halten. Ja es kam im Herzen von Mitteleuropa, wo man nicht zur Ruhe kommen konnte, zum Zugriff von London: vor dem Ausbruch des Uralischen Krieges hatten sechs machtvolle Stadtlandschaften Mitteleuropas, darunter München und Preßburg, ihre Selbständigkeit verloren und duldeten das Dominat englischer Familien.
    Melise war in Bordeaux Toulouse königinartig Alleinherrscherin, ließ sich eine Kathedrale an der Garonne südöstlich Bordeaux’ in der freien Landschaft anlegen, wo sie betete und sich verehren ließ. Denn es war nicht ganz klar, was sie tat und der Priester tat, den sie feierlich eingesetzt hatte, wenn sie sich neben dem Priester auf dem Altarraum hinsetzte, den Blick geradeaus schweifen ließ, die schwerberingten Hände nebeneinander, die fleischquellenden Arme bis zur Schulter bloß, Goldbrokat und elfenbeinernen Tierbehang vor der mächtigen langsam atmenden Brust. Sie war, wie ihr die süd- und ostfranzösischen Stadtschaften zufielen, niemals so vermessen, von selbst die Hand nach mehr auszustrecken. Erwies sich auch immer unterwürfig, ja kriecherisch gegen London. Ihre Macht verlockte sie nie, mit den Frauenbünden, die so üppig vegetierten, zu paktieren; sie liebte Frauen so wenig wie Männer und man konnte sie nicht auf diesen Boden herabziehen. Glorie und Unterwerfung war ihr Verlangen; darin konnte man ihr nicht genug tun. Sie tötete und entmannte Dutzende Männer, von denen sie annahm, sie wären ihr untreu. Zugleich getötet und geschlechtsunfähig gemacht wurden Frauen, die mit diesen Männern verdächtigt wurden. Sie schwankte einige Zeit in ihrer Stellung zu den Frauen hin und her; es schien als ob sie den Frauen in ihrer Eifersucht und Stolz feindlich werden würde. Da wurde diese Königin gebrochen durch ein Weib, ein Mädchen ihrer Sippe, die ihre Tochter sein konnte.
    Das weißgelbe liebliche Persönchen wurde nach der Beseitigung ihres Liebhabers vor Melise gebracht. Melise trank viel. In ihrem heulenden Elend hielt sie die weiche Person bei sich fest, die verschüchtert stille hielt. Melise schlug mit ihrer stählernen Kopfbürste auf sie ein, auf die Arme, die jenen Mann umschlungen hatten, auf die Backen, die sie sich hatte küssen lassen, auf die Lippen, die sie mit den Fingern anzog, die sie mit der scharfen Bürste rasch klöppelte. Das Mädchen hielt weinend inne, kreischte, bat immer um Verzeihung und um Gnade. Sie hatte ja in der Tat nicht gewußt, wer der Mann

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