Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers

Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers

Titel: Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: BLV Buchverlag GmbH & Co. KG
Vom Netzwerk:
allerwenigsten erwartet. Wir sind für Sturm und Kälte ausgerüstet, nicht für dieses Sauwetter. Dabei ist es hier öfter so. Unser Fehler, dass wir uns nicht genügend informiert haben. Warten und hoffen.
    19.1.1992
    Um 5 Uhr Tagwache. Es schneit nicht mehr, aber dichte Wolken am Himmel. Kein Mondlicht.
    Die Hundetreiber sind rechtzeitig da, und kurz nach 7 Uhr geht es los. Langsam – wegen des tiefen Neuschnees und der Wasserstellen – kommen wir voran. Stockdunkle Nacht. Wir verlassen das halb offene Wasser und fahren am Rand des Festlandes entlang. Dann geht es durch eine tiefe Schlucht aufwärts, drüben hinab auf einen zugefrorenen See.
    Wieder Wasserstellen. Brav ziehen die Hunde bergauf. Odd läuft voraus, Stein und ich folgen zuerst hinter den Schlitten, dann treten wir vor den Hunden eine breitere Spur. Um 14 Uhr halten wir an und bleiben.
    Die zwei Hundeschlitten (Preis jeweils 1100 DK pro Tag) kehren um. Es stürmt. Wind aus Nordost, –7 °C.
    Es ist immer grau, immer White-out (bedeckter Himmel und Nebel). Seit wir in Grönland sind, haben wir keine Sonne gesehen. Nur den Mond. Langsam werden wir uns an alles gewöhnen. Auch aneinander.
    Wir haben uns hinsichtlich der Verständigung auf Englisch geeinigt. Zwei Norweger und ein Südtiroler (italienischer Staatsbürger) müssen doch gut miteinander auskommen, wenn sie dasselbe wollen.
    20.1.1992
    Wenig Schlaf. Nach einer stürmischen Nacht starten wir im Morgengrauen. Um 9 Uhr sind wir marschbereit.
    Es geht steil bergan, und die Schlitten sind höllisch schwer. Der Schnee ist konsolidiert, trotzdem sinken wir manchmal ein. Nach zwei Stunden versuche ich zu segeln. Es treibt mich jedoch zu sehr nach Westen ab. Also gehe ich zu Fuß weiter.
    Wir spannen die Felle auf die Skier und kommen noch langsamer voran. DerWind dreht mehr und mehr auf Nord und bläst uns feuchten Schnee ins Gesicht.
    Mit minimaler Geschwindigkeit halte ich genauen Kurs: Nord. Rechtzeitig bevor sich derWind zum Sturm auswächst, schlagen wir das Zelt auf. Es gelingt. Die Behausung – lebensrettend – steht. Bis wir drinnen sind, vergeht eine Stunde. Alles ist voller Nassschnee, sogar die Unterkleider sind nass.
    Man geht hier stundenlang durch ein graues Nichts, alles ist feuchtkalt, und man freut sich auf einen trockenen Schlafsack. Im Zelt aber noch mehr Nässe. Ob das auszuhalten ist? Ich bin falsch ausgerüstet. Zu warme (schwitzen!) und zu langsam trocknende Kleidung.
    21.1.1992
    Nach einer zweiten stürmischen Nacht ein langer Marschtag. Um 8 Uhr – es ist noch dunkel – stolpern wir aus dem Zelt. Um 8.30 Uhr gehen wir los, hinein in eine konturlose Nacht.
    Bald haben wir Zwielicht, und öfter können wir vage den Horizont sehen. Nie ein Abschluss am Ende des Blickfeldes. Das zermürbt auf Dauer. Ich fühle mich ausgewiesen. Im Zwielicht oderWhite-out ausgesetzt. Ohne Distanzen, ohne Anhaltspunkte ist auch der Nomade verloren.
    Das Gelände vor uns steigt immer noch an. Die Schlitten sind schwer. Schnell sind wir nicht.
    Viele Jets fliegen genau über uns hinweg. Einmal versuchen wir, eine Grönland-Fly-Maschine anzufunken. Vergeblich.
    Wir haben zwei Probleme: Wir können im Zelt nichts trocknen, und wir sind langsam, vorläufig viel zu langsam.
    Dieses Leben in Nässe, Feuchtigkeit und Dunkelheit kann sich niemand vorstellen, der es nicht erlebt hat. Dazu der Sturm und keine Konturen.
    Essen und Benzin dürften ausreichen. Unsere Leidensfähigkeit auch. Ob wir mit der Nässe zurechtkommen, ist die Frage. Und mit dem Verlorensein.
    Wir müssen lernen, einiges im Schlafsack zu trocknen. Hoffentlich bleibt seine Isolationsschicht erhalten. Sonst wird das Überleben schwierig.
    22.1.1992
    Der Blick versucht, Halt zu finden. Vergeblich. Es gibt nichts zu sehen. Nichts Erkenn- bares. Alles ist das eine, und im Zwielicht ist dieses eine fremd. Alles verliert sich ins Beiläufige. Auch die Geräusche.
    Nichts kann ich hier zuordnen. Nicht die Stille, nicht die Gerüche und nicht die angehäuften Ausdehnungen, die wie Ballungen aus Dunkelheit das Nichts vortäuschen. Hier muss die Welt erst noch erschaffen werden.
    Wir gehen über diese nicht geordnete Welt. Und nur weil wir so viele praktische Probleme haben, laufen wir, ohne uns der Hoffnungslosigkeit bewusst zu werden, die diese massive Gleichförmigkeit ausstrahlt.
    Wir zweifeln, ob wir Zelt und Schlafsäcke

Weitere Kostenlose Bücher