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Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers

Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers

Titel: Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: BLV Buchverlag GmbH & Co. KG
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Sie kommen nicht zum Tragen, weil sie nicht klar genug, nicht reif, nicht »gut« sind.
    So sehr ich mich oft jahrelang mit der Verwirklichung einer Aufgabe, die zuerst nur als Idee vorhanden gewesen war und die mich später als konkrete Problemstellung gepackt hatte, identifizierte, so wenig begnügte ich mich nach der Realisierung mit dem Erreichten. Es war vielmehr Hunger nach neuer Tat. Dieser Hunger war und ist mein Motor, neue Ideen zu entwickeln, zu neuen Taten anzusetzen. Die Erkenntnis, dass jede realisierte Idee kurzfristig ein Loch in meine Hoffnung reißt, habe ich akzeptieren gelernt. Sie bremst mich nicht. Das Loch kann/muss mit neuen Ideen ausgefüllt werden. Eine dieser Ideen kann wieder wachsen, sich zur Realutopie verdichten. Die Tat folgt.
    Weil ich wie Goethe, der die Tat an den Anfang der Erkenntniskette stellt, an den Tatmenschen in uns glaube, muss am Anfang meiner Ideenkette eine Tat gestanden haben. Nicht nur, weil die Tat alle Fragen aufhebt (durch intensives Tun werden alle Fragen beantwortet), auch weil sie sich meinem Erinnern entzieht, habe ich keinen Zugriff zu diesem auslösenden »Schicksalsmoment« meines Lebens. Zudem möchte ich nicht mein eigener Psychotherapeut sein.
    Grenzgang bedeutet, etwas zu wagen, was du noch nicht gemacht hast. Neuerer zu sein bedeutet, etwas in die Tat umzusetzen, was so niemandem gelungen ist. Visionärer Grenzgänger bist du, wenn du etwas denkst, was so noch keiner gedacht hat. Zum Tun gehören Mut, Energie, Zivilcourage. Vor allem das Ruhen im eigenen Selbstverständnis. Wer sich am Selbstverständnis der anderen orientiert, wird, ohne es zu merken, zum Nachmacher.
    Mein So-Sein, mein Messner-Sein, ist in erster Linie genährt von Ideen, Plänen, Realutopien. Weniger von dem, was ich geleistet habe. Ich sitze nicht auf meinen Lorbeeren. Ich warte auch nicht ab. Ich projiziere meine Energien in die Zukunft. Immer wieder. Das, was ich gemacht habe, gehört zu meiner Biografie. Und ich bin auch so, wie ich bin, weil ich diese Biografie habe. Gepackt bin ich vom Jetzt, getragen vom Morgen.
    Anders ist es mit meinem Image. (Was geht denn mich mein Image an, könnte ich sagen, wenn ich wirtschaftlich nicht von ihm abhinge.) Mein Image lebt vom Geleisteten. Auch vom Bild, das die Medien von mir gezeichnet haben. Mein Image ist also die Vorstellung, die andere, Außenstehende, von mir haben. Dieses Bild stimmt selten mit meiner Persönlichkeit überein. Ich bin nicht mein Image.
    Dieses hat auch wenig mit Visionen zu tun. Die nämlich behalte ich mehr oder weniger für mich. Nur im Stillen können sie wachsen, reifen. Zum Tagtraum wird nur, was stark genug ist, als Realutopie ein Eigenleben zu entwickeln. Also nicht mein Image lässt mich wachsen, sondern meine Pläne, meine Taten.
    Als Hermann Buhl – damals der verwegenste österreichische Kletterer – 1953 zum Nanga Parbat aufbrach, war dieser Achttausender für alle deutschsprachigen Alpinisten das höchste Ziel der bergsteigerischen Sehnsucht. Durch zahlreiche Versuche und Tragödien war der »deutsche Schicksalsberg« zu einer begehrten und gefürchteten Trophäe gleichermaßen geworden.
    Buhl nun, obwohl als Kletterer seinerzeit unübertroffen, war nicht der robuste Haudegen, dem Anstrengung, Kälte, sauerstoffarme Luft nichts hätten anhaben können. Er war schmächtig, feingliedrig, sensibel. Vor der Expedition nervös wie ein Rennpferd. Wenn er zu guter Letzt den Gipfel erreicht hat, dann nur deshalb, weil er sich mit diesem Gipfel identifizierte, monatelang trainierte, bis zum Schluss besessen blieb von seinem Ziel. Im letzten Stück, allein steigend, hat Buhl mehr an Willenskraft, Ausdauer, Leidensbereitschaft aus sich herauszuholen vermocht, als sie einem anderen Bergsteiger damals zur Verfügung gestanden hätten.
    Ich habe Hermann immer ob seiner Kletterkunst bewundert. Er aber war nicht mit ihr zufrieden. Er wollte über sie hinaussteigen. Bis zum Gipfel des Nanga Parbat. Weil er die Fähigkeit besaß – in 100 und mehr extremen Klettertouren in den Alpen erworben –, sich auch in seinen Tagträumen zu verausgaben, hat er schließlich sein Ziel erreicht. Obwohl ihm dies niemand zugetraut hatte.
    Es waren immer wieder schmächtige, kleine, ja sogar kränkliche Grenzgänger (der Kletterer Hans Dülfer, der Nordpolfahrer Wally Herbert), die bahnbrechend Neues taten. Das

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