Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers
ins Everest-Basislager (5400 m). Akklimatisation.
Die Zweifel von auÃen werden massiv. Nur dank meines starken Selbstverständnisses und meiner Zivilcourage kann ich bei meinem Ziel bleiben, Skeptikern, die im Fernsehen, bei Pressegesprächen, beim Anmarsch auftauchen, ohne wesentlichen Identifikationsverlust begegnen.
25.4.1978
Nach dem Aufbau von drei Hochlagern beziehe ich am Südsattel (ca. 8000 m) mit zwei Sherpas ein Zelt. Peter Habeler hat vorher schon resigniert aufgegeben.
Ein 50 Stunden dauernder Höhensturm (ein Zelt reiÃt, Kochen und Schneeschmelzen werden unmöglich) zwingt mich zum Abstieg. Ich bin stark mitgenommen, ausgelaugt. Das ganze Projekt ist infrage gestellt.
7.5.1978
Nach ausgiebiger Rast im Basislager Aufstieg zum zweiten Versuch. Unzufriedenheit in der Mannschaft über den Kompromiss Peter Habelers, den Berg jetzt auf die herkömmliche Art besteigen zu wollen. (Ich kann Peter dann doch überreden, einen letzten Versuch ohne Maske zu wagen.)
8.5.1978
Peter und ich starten am Südsattel mit dem Vorsatz, so hoch wie möglich zu steigen. Das Lager V auf 8500 Metern wollen wir nicht nutzen. Erfolg können wir nur haben, wenn wir auf jeden Zwischenstopp verzichten. (Längerer Aufenthalt in der »Todeszone« bedeutet immer auch Verlust von Konzentration, Wille, Kraft, Energie.)
Wenn jemand bereit ist, jeden Ãberfluss, jede Bequemlichkeit, die Absicherung gegen Ungewissheit einzutauschen, so schlieÃt das nicht mit ein, dass er das Leben selbst aufs Spiel setzt â auch wenn er weiÃ, dass er es dabei verlieren könnte.
Wir kommen besser voran als befürchtet. Die Angst vor der Angst war es, die uns gelähmt hat, und nicht eine Ahnung, vielleicht ums Leben zu kommen. Am frühen Nachmittag sind wir am Gipfel. Peter steigt fluchtartig ab, wie von Panik gejagt.
Eine Weile bin ich ganz alleine oben. Ich bin wie in Trance. Es ist, als sei ich aus der Zeit ausgestiegen, um komplexer und neuartig denken zu können. Wenn auch nur ganz langsam. Trotzdem keine Erfolgsstimmung. Mit der Realisation meines Planes ist mir auch die Utopie abhanden gekommen. Sie fehlt mir als tragendes Gefühl. Eine Leere bleibt.
Mai 1978
Abstieg ins Basislager. Heimreise.
Nach unserem Erfolg werde ich kritisiert wie noch nie. Wegen meiner »Risikofreudigkeit«, meines »PartnerverschleiÃes« (Peter Habeler ging in Zukunft eigene Wege), meiner »Egomanie«. Mein Image wird das eines Verrückten. Was soll ich tun? Es ist mir unmöglich, ständig etwas »Richtiges«, »Vernünftiges«, »Nützliches« zu machen. Dabei dürfte es doch keine Schande sein, immer wieder etwas »Falsches«, »Verrücktes« zu tun, wenn alle anderen etwas »Richtiges«, »Vernünftiges« tun. Vielleicht ist es umgekehrt. Die Welt ist inzwischen so ver-rückt, dass das Normale aus dem Rahmen fällt. Nicht erst seit der Besteigung des Mount Everest ohne Maske weià ich, wie viel mehr man als Neuerer erleben kann. Ich muss mich nur immer wieder fallen lassen in meine Tagträume, um weiterzukommen.
Vision und Image sind zum Glück nicht dasselbe. Selten sind es Persönlichkeit und Image. Erfolg hat auf Dauer nur, wer sich mit seiner Sache identifiziert, nicht mit seinem Image.
Die rohe Kraft war es nicht, die mich so weit gebracht hat. Auch nicht die Risikofreude. Die Wahl des richtigen Partners vielleicht.
Grundvoraussetzung ist die Vision. Sie und die Identifikation mit dem Ziel sind es, die unsere Motivation über Monate zu jener Willensenergie anwachsen lassen, die den Körper zum Pfeil machen. Nur angestaute Energie trägt weit. Sie explodiert (oder implodiert) im Tun.
Mit dem Beweis, dass auch der Mount Everest ohne Maske machbar ist, dass also alle Berge im Alpinstil besteigbar sind, habe ich eine allgemeingültige Spielregel postuliert. Das zukunftbezogene Bergsteigen hätte also ökologisch und elegant zu sein. Leider ging diese Aussage unter, und es ist nicht meine Art, immerzu dasselbe zu predigen.
Als Tatmensch plane ich bald schon den nächsten Schritt: die Realisation einer neuen Realutopie, den Alleingang auf den Mount Everest. Ich lege ihn an als den letzten Schritt meines Bergsteigens.
»So mache ich als Visionär aus der Zukunft eine erlebbare Vergangenheit.«
Vision als Realutopie
D er Wunsch oder Ehrgeiz, so hoch wie möglich zu steigen, so weit wie mög l ich zu gehen,
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