Berger, Frederik - Die Geliebte des Papstes
freundlich.
Giulia überlegte hektisch, wie sie sich verhalten sollte. Aber bevor sie noch zu einem Ergebnis gekommen war, nahm sie sich mit sorgfältigen Bewegungen ihre Haube vom Kopf und den Schleier vom Gesicht, sie schüttelte die Pracht ihrer sich lockernden Haare und lächelte den Franzosen gewinnend an. »Quelle beauté!« rief er und schaute sich, Zustimmung heischend, nach den anderen Rittern um, die inzwischen ebenfalls ihr Visier hochgeklappt oder sogar ihren Helm abgenommen hatten. »Ich bin Yves d’Alègre und befehlige die Vorhut des allerchristlichsten Königs, Charles VIII. von Frankreich.«
Giulia sah den Blick des Franzosen auf ihrem Gesicht ruhen. Sie reckte ihren Oberkörper und fuhr sich mit der freien Hand durch das Haar. Hinter ihr hörte sie Adriana »Aber Giulia!« zischen. Noch einmal deutete sie ein Lächeln an und versuchte, eine möglichst hoheitsvolle Miene aufzusetzen.
»Und ich bin Giulia Farnese und reise nach Rom – als Pilgerin, zum Heiligen Vater persönlich. Laßt mich durch! Ich weiß, daß ihr Franzosen dafür bekannt seid, nicht nur mutige Kämpfer zu sein, sondern auch Frauen Respekt zu erweisen.« Und wieder lächelte sie gewinnend.
Der Franzose lachte auf. »O ja, Madame, wir ehren die Frauen.« Er erwiderte ihr Lächeln, aber seine Mundwinkel zogen sich spöttisch nach unten. »Wir lieben die Frauen. Daher würden wir Euch gerne unser Geleit anbieten. Die Straßen sind unsicher heute, wie Ihr wißt. Überall Wegelagerer, die Frauen als Freiwild betrachten … Farnese? Da gibt es einen jungen Kardinal …«
»Er ist mein Bruder …«
»Dann müßt Ihr la bella Giulia sein. Quelle fortune!«
Giulia reckte noch einmal ihren Oberkörper. »Monsieur …«
Aber der Franzose lenkte sein Pferd direkt neben sie, und seine Eisenhand näherte sich ihrem Kinn. Als er merkte, wie sehr ihn seine Rüstung hinderte, griff er nach ihrem Schleier, riß ihn an sich und befahl mit plötzlich scharfer Stimme: »Entwaffnet die Bande und nehmt die beiden Frauen in die Mitte. Etwas Kostbareres konnte uns nicht in die Hände fallen. La plus belle femme d’Italie! O là là!« Nicht ohne süffisantes Lächeln fügte er an: »Wir werden sie hegen und pflegen.«
Er schwenkte den Schleier wie eine Trophäe durch die Luft. Und die Ritter um ihn brachen in ein schmutziges Gelächter aus.
39. K APITEL
Der Vormarsch der französischen Armee war nicht mehr aufzuhalten. Auch die Versuche, Charles VIII. auf diplomatischem Weg zur Umkehr zu bewegen oder zur Abkehr von seinen Forderungen, schlugen fehl. Zudem wollte Rom sich nicht verteidigen. Silvia hörte von ihrem Vater, der sich tagelang durch die Stadt trieb, daß der Papst das eigene Heer habe nach Süden abziehen lassen. Zwar seien einige Versuche gemacht worden, die Stadt für eine Belagerung zu befestigen, aber insgesamt verhielten sich Roms Bürger inzwischen wie gelähmt: Sie fürchteten sich vor den Franzosen, denen seit der Eroberung von Rapallo der Ruf der Mörderbande vorauseilte. Gleichzeitig hofften sie auf ein gnädiges Schicksal, wenn sie sich der Übermacht ergaben – so hatte sich Florenz verhalten und war dabei gut gefahren.
Silvia nahm am Weihnachtstag mit ihrem Vater am Hochamt in Santa Maria ad Martyres teil. Sie mußte weinen, als sie bei der Fürbitte auf die Grabplatten ihrer Mutter und ihrer Brüder schaute. Ihr Vater neben ihr sah grau vor Schlaflosigkeit aus. Sie wußte noch nicht einmal, warum es ihn so umhertrieb, seit Ippolitas Zurückweisung mehr denn je. Er wollte nicht darüber sprechen. Und seit bekannt war, daß Angelo Farnese sich um Ippolita bemühte, anscheinend erfolgreich, hatte er alle Hoffnung auf eine Wiederheirat aufgegeben.
Als sie in die zugige Weihnachtsnacht hinaustraten, meinte sie Giovanni Crispo in der Menge zu sehen. Aber dann hatte sie sich wohl doch geirrt. Aus der Seitenstraße strömten die Menschen herbei, die die Messe in Santa Maria sopra Minerva besucht hatten. Rosella, begleitet von ihrer gesamten zahlreichen famiglia , begegnete ihnen und begrüßte Silvia mit einer warmen, nach Rosenöl duftenden Umarmung. Sogar der Vater reichte ihr die Hand und lächelte schwach.
Silvia blickte Rosella in die Augen und wußte, daß ihre ehemalige Kammerfrau ihre Gedanken lesen konnte.
»Er hält sich in Capodimonte auf«, sagte Rosella. »Als Freund Kardinal della Roveres hat er von den Franzosen nichts zu befürchten.«
Silvia seufzte erleichtert auf.
»Aber seine Schwester, die
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