Berger, Frederik - Die Geliebte des Papstes
paar Tränen und hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie ihre Mutter gar nicht vermißte.
»Und dein Retter?« fragte sie Clarissa mit einem lauernden Blick.
Silvia schaute Giulia an, die triumphierend lächelte.
»Weißt du es nicht?« fragte sie Clarissa.
Sie schüttelte den Kopf.
»Mein Bruder Alessandro«, platzte es aus Giulia heraus. »Und deswegen sitzt er in der Engelsburg gefangen.« Ihre Stimmung veränderte sich plötzlich. Mit düsterer Stimme erklärte sie: »Wir waren unzertrennlich, und ich halte immer zu ihm. Daher bin ich auch hier.«
»Das verstehe ich nicht«, sagte Clarissa und nahm sich ein Marzipanstückchen.
»Du hast auch keinen Bruder, der nur Jagd, Reiten, Spiele und vor allem Frauen im Kopf hat und darüber seine kirchlichen Pflichten vergißt. Außerdem«, fuhr sie nach einer Weile flüsternd fort, »hat er sich in Silvia verliebt.«
Clarissa prustete los, griff sich erneut ein Marzipanstückchen, und während sie an ihm lutschte, begannen sich ihre Augen in Silvia zu bohren.
Verärgert schüttelte Silvia den Kopf.
»Ich sage es dir, er hat sich in dich verliebt«, wiederholte Giulia und umarmte sie. »Was glaubst du, warum unsere Mutter so wütend war?«
»Woher soll ich wissen, daß deine Mutter wütend war?«
»Das möchte ich auch einmal wissen«, warf Clarissa ein. »Deine Mutter kann doch stolz sein, daß Alessandro solch eine Heldentat vollbracht hat. Er hat dem Wegelagerer seinen Spieß durch die Brust gerammt! ›Solche Männer braucht Rom‹, hat mein Vater gesagt, ›ich wäre stolz, wenn ich einen so tapferen Sohn hätte!‹«
Silvia wurde ganz unheimlich zumute, und sie verstand nichts mehr. Clarissa hatte doch behauptet, sie wüßte nichts von Alessandros Tat. Sie mußte gelogen haben. Ganz Rom sprach offensichtlich von dem Überfall, aber sie wurde ins Kloster gesperrt, Alessandro in die Engelsburg. Silvia sah ihn regelrecht in seinem feuchten Kerker, umgeben von Ratten, und sie wußte, daß er sich nach der Sonne sehnte, daß er sich nach ihr sehnte, sie beide ritten zusammen auf Bianca mit fliegender Mähne der Morgenröte entgegen …
»Sie hat Alessandro einsperren lassen.«
Clarissa kreischte vor Lachen. »Die eigene Mutter? Das glaube ich nicht.«
Silvia brauchte eine Weile, bis sie Giulias Worte verstand.
»Sie wollte, daß er an seine Laufbahn denkt«, fuhr Giulia fort. »Schließlich hat das Amt des Skriptors einiges gekostet.«
Silvia wollte nicht glauben, was Giulia erzählte. Vielleicht log auch sie.
»Unsere Mutter möchte nicht, daß Alessandro der falschen Fährte folgt.«
Clarissa grinste. »Was meinst du mit falscher Fährte? « fragte sie scheinheilig.
»Na, du weißt schon, Kurtisanen, Huren, Jungfrauen …«
Silvia liebte ihre beiden Freundinnen, aber nun schienen sie sich abgesprochen zu haben, sie zu verwirren und zu ärgern. Sie wollte ihnen diese Freude aber nicht lassen und gab sich ungerührt.
Giulia setzte eine bedauernde Miene auf. »Auf jeden Fall hat er jetzt Zeit, das Missale auswendig zu lernen und die Kirchenväter zu studieren.«
»Aber wie ist das möglich?«
»Der Kastellan und die Wachen sind bestochen. Wir durften ihn sogar besuchen.«
Silvia brach nun doch in Tränen aus. Alessandro tat ihr leid, sie haßte seine Mutter, und sie bemitleidete auch sich selbst. Wenn er sich wirklich in sie verliebt hatte … Und er durfte es nicht … Er sollte wahrscheinlich Kardinal werden oder gar Papst, wie einer seiner Vorfahren. Und was Giulia da über Kurtisanen andeutete … Silvia fühlte sich elend, weil sie nichts unternehmen konnte … und weil Giulia ihren Alessandro gesehen hatte, während sie hier hockte, eingeschlossen …
Giulia nahm sie in den Arm. Clarissa starrte aus dem kleinen Zellenfenster in die Sternennacht hinaus. »Ich seh die Venus«, rief sie, »meinen Lieblingsstern.«
»Und wie geht es ihm?« fragte Silvia.
»Er hält es nicht mehr aus in seinem Turm«, antwortete Giulia, »und er hat sich mit unserer Mutter gestritten. Sie will ihn schmoren lassen. Bis er klein beigibt.«
»Ich weiß gar nicht, wer meine Mutter ist. Sie ist auch schon tot«, warf Clarissa ein, aber niemand beachtete ihre Bemerkung.
»Er wird nie klein beigeben.«
»Ja und?«
Giulia hob die Schultern und ließ sie seufzend wieder fallen. »Und weil ich zu Alessandro hielt, hat sie mich ebenfalls ins Kloster gesteckt. ›Ein Klosteraufenthalt ist die beste Vorbereitung für eine Ehe‹, hat sie gesagt. Ich soll nämlich bald
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