Berger, Frederik - Die Geliebte des Papstes
und blieb traumlos bis zum Matutinum, der Frühmesse.
Doch schon nach wenigen Tagen langweilte sie sich. Die ewigen Andachten und Gebete, der trockene Unterricht, die niedergeschlagenen Augen. Das Schweigen bei den Mahlzeiten, die monotone Stimme der Vorleserin.
Die Mutter Oberin nahm sie häufig in den Arm. Ihr Taufname sei Ippolita, flüsterte sie Silvia eines Nachmittags zu, als sie nach der Vesper zu ihren Zellen schlenderten, sie entstamme der Crispo-Familie, habe mehrere Brüder. Daher habe ihr Vater keine anständige Mitgift aufbringen wollen, um sie standesgemäß zu verheiraten, und so sei sie ins Kloster gesteckt worden. »Das war billiger.«
Sie schaute Silvia forschend an, und Silvia entdeckte, daß sie ihre dunklen Augen schwarz umrahmt hatte. Ja, auch auf ihre Lippen hatte sie eine leichte Farbe gelegt. Die Mutter Oberin, deren Haare die Haube verbarg, die ihr Leben in den Mauern eines Klosters führen sollte, hatte sich geschminkt! Auch duftete sie wunderbar nach Lavendel. Wollte sie vielleicht, daß der Heiland sich in sie verliebte?
»Bekämpfe den Stachel des Fleisches, die Verlockungen der Wollust, kleine Silvia! Ich weiß, was dir widerfahren ist. Überall locken Dämonen. Der Teufel mit seinem Horn lauert an jeder Ecke, und manchmal tritt er auf als schöner Galan, als Retter in höchster Not.«
Silvia schaute die Mutter Oberin mißtrauisch an, doch diese erwiderte ihren Blick nicht, sondern fuhr fort, im verschwörerischen Flüsterton von den Verkleidungen des Teufels zu erzählen, von den satanischen Wegen, auf denen der Antichrist sich insbesondere den Jungfrauen nähere, und wie er es mit den Hexen treibe. Silvia wollte sich zurückziehen, aber die Mutter Oberin ließ sie nicht gehen. Sie zog sie in ihre eigene Zelle, schloß die Tür und zeigte ihr dann purpurne und blaue Flecken an ihrem Körper. »Wundmale, mein Kind, Wundmale.« Dann forderte sie Silvia auf, sich mit ihr gemeinsam vor ein Fresko zu knien, das ihre Zelle schmückte und das Silvia erst jetzt richtig wahrnahm. Noli me tangere ! rief ein nur halbbekleideter, muskulöser Jesus einem Weibe zu. Die Mutter Oberin beugte sich vor, küßte den Boden, sprach in beschwörendem Ton das Pater noster und richtete dann ihr Gebet an den Heiland. Sie sprach so schnell, daß Silvia sie kaum verstand.
Die Hände vor dem Gesicht, spähte Silvia zu ihr hinüber. Und nun geschah etwas Seltsames. Mit verdrehten Augen richtete die Mutter Oberin sich auf, ihr Körper öffnete sich, als wolle er ein göttliches Wesen empfangen, und ihre Gesichtszüge verklärten sich, ja gerieten in Verzückung.
»Ich bin eine Braut Christi«, flüsterte sie noch, bevor sie auf den Boden sank.
Silvia rief sie an, doch sie antwortete nicht. Weil ihr immer unheimlicher zumute wurde, bekreuzigte sie sich und schlich sich aus der Zelle. In dieser Nacht betete sie lange, und als sie irgendwann einschlief, kamen auch ihre Träume zurück. Wieder sah sie ihre Mutter, aber die Mutter war jetzt die heilige Cecilia, die man enthaupten mußte, weil sie nicht sterben wollte, drei Schläge brauchte der Henker, drei Schläge mit einem scharfen Schwert. Silvia wollte schreien und zu ihr eilen, aber ihr Körper blieb starr und stumm.
Bei der Frühmesse sah sie die Mutter Oberin wieder. Sie lächelte Silvia warmherzig an wie immer. Hatte Silvia von den seltsamen Vorfällen in ihrer Zelle nur geträumt?
Die Träume hörten nicht auf, sondern wiederholten sich Nacht für Nacht. Während sie lange Zeit nur zusah, wie die männlichen Teufel sich an ihrer Mutter und an Rosella zu schaffen machten, ohne daß ein Retter auftauchte, wurde sie bald hineingezogen in die Tortur. Es ging ihr wie all den heiligen Jungfrauen, sie wurde gefesselt und geknebelt, gezwickt und gezwackt und schließlich von tausend Speeren durchbohrt. Auch verstärktes Fasten half ihr nichts, wie die Gebete, die sich durch die halbe Nacht erstreckten, gegen das Fieber, das sie schließlich ergriff, nichts halfen. Je höher das Fieber stieg, desto häufiger endeten die Qualen in einer sehnsüchtigen Ruhe. Silvia war eine Märtyrerin, eine Schwester der heiligen Barbara, der Heilige Vater betete für sie, ihr Vater, der sie eingesperrt und gequält hatte, kniete vor ihr nieder, an seiner Seite Rosella. Schließlich tauchte Alessandro auf und bereitete ihren Qualen ein Ende.
Als Silvia zu schwach war, um noch aufzustehen, flößte man ihr Ziegenmilch ein, die man mit Honig versetzt hatte, und schob ihr dicken
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