Berger, Frederik - Die Geliebte des Papstes
Rosella plötzlich neben ihr. Silvia erschrak und beendete sofort ihr Spiel. Rosella strich ihr wie eine Mutter über den Kopf.
»Schön!« sagte sie. »Sing weiter!«
Silvia schüttelte schüchtern den Kopf.
»Seit wann schämst du dich vor mir?«
Rosella setzte sich neben sie, nahm ihr die Laute aus der Hand und versuchte nachzusingen, was sie gerade gehört hatte. Zuerst klang es noch ein wenig falsch, aber schon bald sang sie mit leidenschaftlicher Intensität.
Silvia schämte sich tatsächlich, aber sie schämte sich nicht über die Verse, die ihr eingefallen waren, auch nicht darüber, daß Rosella schöner sang als sie, sondern darüber, daß sie so schlecht über Rosella gedacht hatte. Daß sie Rosella unterstellt hatte, ihren Vater verhext zu haben. Und nicht nur ihren Vater, sondern auch Alessandro. Rosella kam aus der Gosse, und nun war sie die Geliebte ihres Vaters – fast ihre Mutter. Dafür bewunderte Silvia sie. Und Silvia liebte sie, weil Rosella sie als Kind gewaschen und angekleidet hatte, und wenn das Fieber sie schüttelte, saß Rosella immer an ihrem Bett und kühlte ihre Stirn. Silvia liebte sie, trotz des Hasses, den sie gelegentlich empfand, weil Rosella so grob und wild sein konnte.
»Und wie geht es weiter?« fragte Rosella. »Ich weiß nicht«, sagte Silvia stockend.
»Natürlich weißt du es, ich sehe es dir doch an.« Sie reichte ihr wieder die Laute, und Silvia sang mit leiser, schüchterner Stimme:
»Wie Frühlingsjauchzen soll mein Ruf erklingen, Bis Tränenströme, Liebster, aus der Haft Der dunklen Augen brechend, Rechenschaft Der späten Reue der Beglückten bringen.«
»Ach, wenn ich so dichten könnte«, rief Rosella, »und dabei bist du noch fast ein Kind.«
»Du kannst viel schöner singen als ich«, widersprach Silvia, »und außerdem bin ich kein Kind mehr.«
Rosella umarmte sie, und Silvia sah tatsächlich Tränen in ihren Augen glänzen. »Ich könnte so glücklich sein«, flüsterte sie, »mit deinem Vater und dir und meinem kleinen Sandro …«
Silvia fühlte einen Stich des Neids in ihrem Herzen. Rosella besaß das süße Kind, und sie mußte noch warten, bis sie die Bestimmung der Frau erfüllen durfte. Ihr Vater hatte Rosella aus ihrer dunklen Herkunft erlöst, sie durften zusammenleben, und Silvias Geliebter, ihr Held, hielt sich in der Ferne auf, irgendwo in einem der Häuser oder Burgen der Farnese oder sogar schon in Florenz. Ach, am liebs ten wäre sie ihm nachgezogen. Leise sang sie: »Dann blühen rote Rosen auf dem Schnee Der Wangen; rote Lippen öffnen sich, Zu künden meines Herzens süßes Weh.«
Und das süße Weh der Worte überschwemmte derart Silvias Herz, daß ihr die Tränen nur so aus den Augen kullerten. Sie beide weinten und lagen sich in den Armen. Aber dann lachte Rosella, sie lachte über ihr tränenersticktes Getue. Es dauerte lange, bis die beiden sich beruhigt hatten.
Die Sonne war untergegangen, so daß es fast dunkel im Raum war, nur noch das Feuer glühte vor sich hin. Draußen auf der Straße herrschte, wie im Haus, eine ungewöhnliche Stille. Silvia wußte gar nicht, wo ihr Vater sich aufhielt. Vielleicht studierte er in seinem Studiolo wieder seine Sternkarten, berechnete Konjunktionen und Oppositionen und versuchte, in die Zukunft zu schauen. Oder er war, wie so häufig in der letzten Zeit, ausgegangen. Niemand wußte, wohin.
Silvia griff noch einmal in die Saiten und sang die letzte Strophe ihres Sonetts:
»Und weinend, lachend fühl ich innerlich: Mein kurzes Leben hab ich nicht vertan. Ja, glorreich seh ich meine Stunde nahn!« Rosella war wieder ernst geworden. »Glaubst du auch, was du singst?« fragte sie nach einer Weile. Silvia nickte.
Rosella seufzte und schwieg.
Silvia träumte weiter vor sich hin, sah Alessandro aus dem Licht auftauchen, wie damals in Frascati, der starke Sankt Georg stand vor ihr, der Retter der Jungfrauen, der Eroberer, dem man sich hingeben mußte, sie sah sich und ihn vor den Traualtar treten, und der Heilige Vater sprach den Segen.
»Es ist schwer, sein kurzes Leben nicht zu vertun«, sagte Rosella unerwartet, »aber ich will es nicht, ich will es nicht …« Sie ballte die Faust. »Dein Vater ist selten zu Hause«, fuhr sie fort, »irgend etwas braut sich zusammen.«
Obwohl Silvia sie nur schemenhaft sehen konnte, merkte sie doch, wie sich Rosellas Körper spannte und ihre Stimme sich veränderte. Rosella riß ihr förmlich die Laute aus der Hand, griff einen dissonanten Akkord,
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