Berger, Frederik - Die Geliebte des Papstes
selbst ablenkten und einen schalen Nachgeschmack, ein Gefühl der Leere hinterließen.
Alessandro schob sich zu der jungen Frau vor. Während er sich neben ihr einen Platz erkämpfte, berührte er dabei die Hand, mit der sie sich auf die Brüstung stützte. Beide sprachen sie kein Wort, aber ihre Augen hatten sich ineinandergebohrt. Sie drückte sich zur Hauswand und verschwand in einem Palazzo. Alessandro folgte ihr. Sie raffte ihr Kleid, überquerte den Innenhof und rannte durch das gegenüberliegende Portal wieder auf die Straße. Alessandro blieb ihr auf den Fersen. Auf der Straße wildes Gedränge. Ein einziger Blick noch, Silvias Blick, und plötzlich war sie verschwunden. Unmöglich, in diesem Gedränge voranzukommen. Er hatte sie verloren.
Zum Glück nahte die Fastenzeit. Der Überdruß quälte ihn derart, daß ihm das Leben eines Eremiten als eine Erlösung erschien. Widerwillig ließ er sich als Wettsieger den Gewinn, einen großen Phallos, umhängen. Anschließend machte er sich wieder an seine Studien.
Doch dann stürmte Pico in seine Kammer und berichtete in leuchtenden Farben von den Begegnungen mit der Krämerstochter, die bald heirate und Krämersfrau werde, die mit ihrem Krämersmann nach Arezzo ziehe, und er, Giovanni Pico, Conte della Mirandola, sei verzweifelt.
Alessandro hockte gerade über einem griechischen Text, wollte sich nicht stören lassen und zuckte mit den Schultern. Aber Pico ließ nicht locker. Es müsse etwas geschehen. Und zwar bald. Am nächsten Tag berichtete er, fünf Mann habe er zusammen. Eine Woche später waren es schon zehn. Nach Ostern heiratete seine Geliebte und zog tatsächlich nach Arezzo. Sie schrieb ihm leidenschaftliche Briefe, die er Alessandro zu lesen gab. Und im Mai erklärte Pico schließlich: »Ich habe fast zwanzig Männer zusammen, wir werden sie entführen!«
Alessandro schaute ihn entgeistert an. »Du meinst das nicht im Ernst!«
»Allerdings!« Pico sprang auf und beugte sich zu Alessandro, der noch immer dabei war, mühsam das Liebesgleichnis aus Platons Gastmahl zu übersetzen. »Wir reiten nach Arezzo und holen sie heraus. Sie ist bereit, ja sie drängt mich sogar.«
Pico erschien Alessandro plötzlich wie ein trotziger kleiner Junge, der unbedingt seinen Willen durchsetzen mußte. »Du würdest deine kleine Silvia auch entführen, wenn ihr Vater sie mit einem gewöhnlichen Krämer oder Handwerker verheiratete!«
Alessandro sprang ebenfalls auf und rief erregt: »Wie kommst du auf Silvia?«
»Du sprichst doch dauernd über sie.«
»Tue ich das wirklich?«
»Du liebst sie insgeheim, und eines Tages wirst auch du sie entführen.«
Alessandro schüttelte den Kopf, aber Pico gab nicht auf. Er hielt Alessandro am Arm und zog ihn nahe zu sich heran. »Sind wir nicht Freunde, Geistesverwandte? Ich brauche dich. Achtzehn Gesellen habe ich zusammen. Mit dir zusammen sind wir zwanzig. Dann können wir losschlagen.« Als Alessandro noch immer zögerte, fügte er noch an: »Reizt dich nicht das Abenteuer? Du bist nicht geboren, um über griechischen Manuskripten zu hocken oder als Kirchendiener Messen zu lesen und von Abenteuern anderer Leute in der Beichte zu hören. Du kannst dich nicht damit abfinden, nur Zweitgeborener zu sein. Über den Papst sprichst du mit Verachtung, von deiner Zeit als Skriptor mit Widerwillen, aber als du mir von Silvias Rettung erzähltest, leuchteten deine Augen. Du bist wie ich. Wir beide suchen das Abenteuer.«
Alessandro schaute in Picos Augen, die ihn festzunageln schienen. »Weiß Lorenzo davon?«
Pico wandte sich abrupt ab. »Ich brauche keine Erlaubnis von Lorenzo. Ich bin Graf, ich bin reich, ich bin niemandem Rechenschaft schuldig. Wir alle lieben Lorenzo, aber wir sind weder seine Diener noch seine Kinder. Er hat ja selbst eine verheiratete Frau als Geliebte, und manchmal führt er sie in eine seiner Villen auf dem Lande. Lorenzo ist der erste, der mich verstehen würde.«
Und dann ritten sie. Zwanzig Mann, alle die Schwerter umgebunden, manche sogar mit Brustpanzer und Helm. Nach einem Tag erreichten sie Arezzo, und noch in der Nacht wollten sie Picos Geliebte entführen. Aber es war bedeckt und so dunkel, daß an eine Flucht nach Siena nicht zu denken war. Sie suchten eine Herberge vor der Stadt, warfen die Gäste aus ihren Betten und nisteten sich dort ein. Alessandro fühlte sich in der Gesellschaft der jungen Männer unwohl. Es waren zwar einige Söhne aus den angesehenen Familien von Florenz dabei, auch
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