Berger, Frederik - Die Geliebte des Papstes
waren nah. Sie mußten eine Abkürzung genommen haben. Und es waren wirklich viele. Vielleicht hundert, vielleicht zweihundert.
Die Flucht begann. Die bravi vorneweg, Alessandro hielt sich neben Picos Geliebter. Ein Bach mußte durchquert werden. Baumstämme lagen im Weg. Der Mond verschwand für kurze Zeit hinter einer Wolke, und man geriet in Gefahr, sich zu verirren. Dann wieder das gleißende Silberlicht, und schon waren die Männer aus Arezzo heran. Gut bewaffnet und voller Wut stürzten sie sich auf die flüchtende Truppe. Diesmal war es kein Spiel mehr, keine Fechtübung, diesmal ging es um das nackte Überleben, dies spürte Alessandro sofort. Neben den Bürgern aus Arezzo standen ihnen trainierte Söldner gegenüber, denen offensichtlich eine Erfolgsprämie winkte, denn sie gingen sofort zum Angriff über.
Pico wich ein Stück zurück. Alessandro mußte einen Hieb parieren, sich unter einem zweiten wegducken und dann mit einem kräftigen Stoß einen Gegner vom Pferd hauen. Schon lagen mehrere Männer auf dem Boden, Pferde wieherten vor Schmerz, bäumten sich auf, und ein undurchschaubares Kampfgetümmel entstand. Wo waren Pico und seine Geliebte? Die junge Frau wurde vom Pferd gerissen, schrie auf. »Giovanni!« rief Alessandro mit aller Kraft, aber niemand antwortete. Auch Picos Pferd war nirgends zu sehen. Nun stieß schon wieder einer nach Alessandro, eine Lanze kam seinem Pferd gefährlich nahe, und dann suchte plötzlich einer der Verfolger den Zweikampf. Alessandro wollte zurückweichen.
»Laßt ihnen die Frau und weg!« brüllte er.
»Wo ist Pico?« hörte er.
»Stell dich, du Feigling!« rief sein Gegner.
Wieder eine Wolke vor dem Mond, Dunkelheit, der Kampf erlahmte, das Gebrüll wurde dagegen lauter. Dann erneut der nächtliche Schattenriß, aufblitzende Klingen, um sich schlagende Pferde. Überall auf dem Boden blutende und schreiende Männer. Andere rührten sich nicht mehr. Er konnte dem Zweikampf mit dem Söldner nicht mehr ausweichen.
Alessandro schaute noch immer auf La Verna. Abweisend ragten die Felsen auf, darüber das Kreuz. Die Botschaft des Opfers, der Erlösung, der Gnade. Die Botschaft des Rückzugs und der Einsamkeit. Die Botschaft des Verzichts und der Armut. Über ihm die Kerzen der blühenden Kastanie. Über ihm die weit ausladende Krone eines Baums, der sich in voller Pracht entfaltete. Alessandro versuchte zu beten, fand aber keine Worte, sah nur diesen letzten Kampf verlangsamt und in allen Einzelheiten vor sich. Der unbekannte Gegner konnte es mit Alessandros Geschicklichkeit nicht aufnehmen, dafür kämpfte seine Wut mit. Alessandro war nicht wütend, und er wollte seinen Gegner auch nicht töten. Aber dann tötete er ihn doch. Sofort stürzten sich andere auf ihn. Noch einmal sah er das helle Kleid aufleuchten, das Picos Geliebte trug. Fast alle von seinen Männern lagen blutend oder tot am Boden. Pico selbst war nicht zu sehen. Alessandro kämpfte als einer der letzten. Als er eine Lücke erspähte, trieb er sein Pferd an, und mit der Kraft der Panik rannte es einen Mann um und jagte mit Alessandro davon. Er merkte sehr schnell, daß er nicht verfolgt wurde, aber auch, daß er alleine flüchtete. Daß er wie durch ein Wunder unverletzt geblieben war. Wie viele Männer er getötet hatte, wußte er selbst nicht.
Und jetzt, unter dem Kastanienbaum, mit Blick auf die Felsen von La Verna, auf den Ort, an dem der heilige Franciscus das Wunder der Stigmatisation erfuhr, dankte Alessandro dem barmherzigen Vater für das zweite Wunder der Rettung, mit dem ER ihn ausgezeichnet hatte.
23. K APITEL
Silvia hatte Alessandro Farnese, ihren Retter, nicht vergessen. Sie war während der letzten Jahre zu einer jungen Frau herangewachsen und stand nun vor der Vollendung ihres fünfzehnten Lebensjahrs. Demnächst würde sie im heiratsfähigen Alter sein. Aber trotz der Überlegungen ihres Vaters, sie mit Giovanni Crispo zu verheiraten, dachte sie nicht daran, irgendeinen Mann aus den alteingesessenen Familien Roms zu heiraten. Für sie gab es nur einen Mann, dem sie sofort ihr Ja-Wort geben würde, und dieser Mann hieß Alessandro Farnese. Aber Alessandro lebte nun schon bald drei Jahre in Florenz.
Während des ersten Jahres hatte er kaum etwas von sich hören lassen, doch dann antwortete er plötzlich umgehend auf ihre Briefe, und schließlich schrieben sie sich regelmäßig. Silvia erzählte Alessandro viel vom kleinen Sandro, mit dem sie jeden Tag spiele und lache, von ihren
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