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Bergfriedhof

Bergfriedhof

Titel: Bergfriedhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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abzuwerfen. »Worum geht es bei dir und Marten, hm? Und wer ist der Jugoslawe, von dem Arsani gesprochen hat?«
    »Lass mich in Ruhe!«, brüllte er aus vollem Halse und riss sich los. Sein Blick war hasserfüllt. Und hinter dem Hass stand Angst, nackte Angst. Er war ein Tier, das man in die Enge getrieben hatte. Kein schöner Anblick. »Lasst mich bloß in Ruhe«, wiederholte er flüsternd. »Alle!«
    Ich lachte mitleidig auf. Er verschwand im Treppenhaus.
    Arsani hatte das Projekt Bluseschließen aufgegeben und schleifte sein besinnungsloses Opfer außer Sichtweite. Er kannte sich ja aus mit Rubensweibern. Frank war noch nicht so weit. Er werkelte zwar eifrig an seiner Auserwählten herum, aber die Frau sah dauernd auf die Uhr; wahrscheinlich hatte sie noch einen Termin. Die zankenden Weiber vertrugen sich wieder und wankten innig umschlungen zur Tür, Konstantin hinter ihnen her. Georg lag friedlich in seinem Stuhl. Ein Teil seines Abendessen war auf seine Brust gepurzelt, Nudelsalat und Würstchen, schön säuberlich von dem dreifarbigen Burschenband getrennt – wie bei einem von Arsanis Stillleben aus dem 18. Jahrhundert. Wenn er sich heute Nacht nicht bewegte, hatte er morgen früh gleich etwas zum Frühstücken.
    Ich schaute nach oben. Der große Bronzeadler auf seinem Sockel erwiderte meinen Blick. Das Heer der Scherenschnittsöldner blieb stumm.
    Das hier, das war die leibhaftige Vorhölle. Eine auf altdeutsch getrimmte, akademisch verbrämte Vorhölle. Der Limbus in Sütterlin. Virtus, Constantia, Fortitudo: germanische Terzinen, Goldschnittausgabe. Sektleichen auf dem Söller und Mutproben gelangweilter Muttersöhnchen.
    Höchste Zeit zu gehen.
     
     

34
     
    Es war Weihnachten.
    Glocken bimmelten, die Engel sangen, Öchslein und Eselein schrieen, und ich fuhr mit dem Jesuskind Achterbahn. Oder Karussell. Vielleicht auch Fahrrad: wir beide auf mindestens vier Rädern, schwankend und kreischend durch die Plöck. Die Glocken bimmelten, eine Ladentür bimmelte, heraus trat ein finsterer Gorilla, ein echter Silberrücken, und vor lauter Gebimmel hörte er den heranbrausenden Jeep nicht. Warum mussten diese Bullen auch so schnell fahren? Ratsch! Der Silberrücken wurde von der riesigen Kühlerhaube zermanscht, ungebremst raste der Wagen auf mich zu, wurde größer und immer größer, verwandelte sich in eine riesenhafte Faust, die sich vor meinen Augen aufblähte, bis sie mein Blickfeld ganz ausfüllte ...
    Kann denn keiner diese verdammten Glöckchen abstellen?
    Es war Weihnachten, und leise platschte der Schnee auf mich herab. Der Schnee.
    Ach was, Schnee! Regen war es, blöder, nasser Regen! Ich richtete mich ächzend auf. Hatten sich meine Augen schon geöffnet? Schwer zu entscheiden. Ich sah nichts und niemanden. Dann waren sie wohl noch zu. Halt, Möglichkeit Nummer zwei: Nacht! Dunkle, sternenlose Regennacht, die Finsternis war ein schwarzer Würfel, und ich saß in seiner Mitte. Vielleicht hielt ich auch die Augen noch geschlossen, und es war trotzdem Nacht. So viele Alternativen! Und niemand, der mir beistand. Nur der Regen plätscherte.
    Stöhnend hielt ich mir den Kopf. Warum drehte keiner den Hahn ab? Ich war pitschenass.
    Und dann merkte ich, dass ich nicht allein war. Ich spürte seine Anwesenheit, ich sah ihn nicht. Seitlich mussten seine Füße stehen, darüber sein Rumpf und ganz oben der Kopf, weit entfernt, in derart schwindelnder Höhe, dass sich mir der Magen umdrehte.
    Aus diesen frostigen Regionen kam seine Stimme zu mir herabgerieselt. Eine wohlbekannte Stimme.
    »Können Sie mir verraten, was Sie dort unten machen, Sie ... Mensch?«
    Das waren die Worte, die mich unter die Lebenden zurückversetzten. Mein persönlicher Weckdienst, eine Hallo-wach-Tablette nach Rezeptur der DACH. Ich blinzelte unter schmerzenden Augenlidern hervor. Es war tatsächlich finstere Nacht, aber es ließen sich Schemen ausmachen, die mein zerebrales System mit Müh und Not zu Gegenständen zusammenfügte. Ich schaute nach rechts oben. Eine Mischung aus Gorilla und Testbild stand da, Bünting kubistisch, ein wackelnd unscharfer, konkav-konvexer Menschenschinder, der eine Stange in den Himmel gerammt hatte.
    Ich fing an zu lachen.
    Natürlich hielt sich Bünting ruhig und aufrecht wie immer, ein in den Boden gerammter Totempfahl – ich wusste das, aber ich sah es nicht. Nahm bloß ein verzerrtes Hologramm dieser Person wahr, und dieses Hologramm ächzte, knirschte und pfiff. Zu mehr waren meine leck

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