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Bergfriedhof

Bergfriedhof

Titel: Bergfriedhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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sagte Arsani. »Muss aber schon als junger Kerl das Land verlassen haben, im Krieg oder kurz nach dem Krieg, fragen Sie mich nicht, warum. Jedenfalls fiel im Verlauf unseres Gesprächs der Name Bünting, und da wurde er hellhörig. Er wollte sofort wissen, wer so hieße, und ließ sich Arndt vorstellen. Die beiden sprachen längere Zeit miteinander.«
    »Worüber?«
    »Hat mich nicht interessiert. Es ging um Arndts Verwandtschaft, so viel habe ich verstanden, um seinen Großvater natürlich, und der Serbe schien völlig aus dem Häuschen, warum auch immer. Er fragte und fragte. Der junge Bünting wollte ihn loswerden, das merkte man. Als wir gingen, bettelte der Mann regelrecht um Arndts Adresse und bekam sie auch. Wir glaubten alle, er wolle mal eine Karte schreiben, mehr nicht.«
    »Wie alt war der Mann?«
    »Alt. Ende 70, schätze ich. Warum?«
    »Nur so. Erzählen Sie weiter.«
    »Die ganze Sache hatte ich längst wieder vergessen – bis der Jugoslawe vor einer Woche bei mir im Zimmer stand. Weiß der Himmel, woher er das Geld hatte, um nach Heidelberg zu kommen. Aber nun war er da. Sagte, er sei auf der Suche nach dem jungen Bünting, der ihm offenbar eine falsche Adresse gegeben hatte. Ich versuchte ihn abzuwimmeln. Es war nur zu offensichtlich, dass Arndt kein Interesse an einem Wiedersehen gehabt hatte. Aber der Serbe blieb hartnäckig, und am Ende sagte ich ihm, er könne ihn nachmittags im Seminar treffen.«
    »Warum ist der Mann zu Ihnen und nicht gleich zu den Büntings? Er hätte doch nur im Telefonbuch nachschlagen müssen.«
    »Ich weiß es nicht. Er wollte, wie gesagt, partout mit dem Jungen sprechen. Um bei ihm zu übernachten, vielleicht auch um etwas Essbares zu bekommen, wer weiß. Auf mich machte er den Eindruck, als hätte er keinen Cent in der Tasche.«
    »Hat er gesagt, wie er hergekommen ist?«
    »Nein.«
    »Und dann?«
    »Nichts und dann. Nach dem Seminar sprachen wir mit Arndt, der alles andere als erfreut schien, ihn aber zu guter Letzt mitnahm, weil er merkte, dass ich auf die Gegenwart des Herrn keinen Wert legte. Er wird dem Mann wohl eine Übernachtungsmöglichkeit verschafft haben. Da müssen Sie ihn schon selbst fragen.« Er runzelte die Stirn. »Ja, warum fragen Sie eigentlich nicht ihn, sondern mich?«
    Ich hob abwehrend die Hände. »Was meinen Sie, wie oft ich ihn gefragt habe? Wir haben ihn regelrecht zur Rede gestellt, Hanjo und ich. Aber Sie kennen ja die jungen Leute in dem Alter. Wenn die erst mal bockig sind ... Und von dem Serben wussten wir beide nichts.«
    »Dann hat er sich also nicht bei Dr. Bünting gemeldet. Dabei ist der in seinem Alter.«
    »Wissen Sie, ob er noch in der Stadt ist?«
    »Nein.«
    Ich schwieg. Alles in allem waren das rätselhafte Informationen. Außerdem störte mich das Pochen in meinem geschwollenen Auge. Der Kunsthistoriker räusperte sich mehrmals und schaute verstohlen zur Uhr. Allmählich verlor der furiose Auftritt meiner Schwester seine Wirkung.
    »Könnten Sie sich vorstellen«, fragte ich schließlich, »dass dieser Mann die Ursache für Arndt Büntings Verunsicherung ist?«
    »Der? Ach was«, wehrte Arsani ab. »Ein dahergelaufener Rentner, der nichts zu beißen hat? Kann ich mir nicht denken.«
    »Wann war das genau, als er zu Ihnen kam? Welcher Tag?«
    »Nun, das kann ich Ihnen sagen. Mein Rubens-Seminar halte ich immer donnerstags ab. An diesem Morgen stand er plötzlich vor meiner Tür.« Er verzog das Gesicht zu einem maliziösen Lächeln. »Ich dachte noch, wieso stinkt es hier nach Mottenpulver ...?«
    Arsanis Lächeln gefiel mir nicht. Mir gefiel überhaupt immer weniger an diesem professoralen Lachsack mit Appetit auf junges Fleisch. Immerhin, er hatte mir, einem Nichtakademiker, mehr erzählt als alle besoffenen Rheno-Nicarier zusammen. Aber die hatten sich ja auch nicht an meiner Schwester vergriffen.
    »Schön, Herr Professor«, sagte ich und erhob mich. »Dann will ich mal nicht länger stören.«
    »Grüßen Sie Dr. Bünting«, entgegnete er erleichtert. »Ich weiß nicht, ob ich Ihnen ...«
    »Doch, doch, Sie haben mir sehr geholfen.«
    Er lächelte wieder und sah aus, als wollte er mich noch etwas fragen. Schüttelte aber den Kopf und geleitete mich zur Tür. Als ich schon die Klinke in der Hand hatte, nahm er allen Mut zusammen, räusperte sich und fragte: »Sagen Sie mal, Herr Koller, Ihre Schwester ...«
    »Ja?«
    »Ich dachte, sie heißt Claudia.«
    »Na, das ist doch ...« Vorwurfsvoll schüttelte ich den Kopf.

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