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Bergfriedhof

Bergfriedhof

Titel: Bergfriedhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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wurde sie zutraulicher. Blöde Gans! Umso misstrauischer hätte sie sein sollen. Aber wie erklärte man das einer jungen Russin?
    »Ich muss wirklich noch arbeiten«, wiederholte sie, während sie mich in ihr Zimmer führte: in die spartanisch eingerichtete Bude, die ich bereits von außen begutachtet hatte.
    Ich setzte mich auf den einzigen Hocker, sie nahm auf der Bettkante Platz und musterte mich misstrauisch. Nahm sie mir den Geschäftsfreund ab? Mit blauem Auge und Frittenöl in den Kleidern? Schwer zu sagen. Ihr Blick jedenfalls zeugte von unverhohlener Skepsis. Sie sah nicht übel aus, aber eine glatte Schönheit war sie auch nicht. Dünn und ein wenig kantig, mit einem kleinen Schmollmund und einer feingliedrigen Nase. Ihre Lider waren bläulich geschminkt. In den späten 60-ern, glaube ich, hatten solche Twiggy-Typen Konjunktur; das Kleidchen stand ihr ganz gut, auch wenn sie es nicht ausfüllte.
    »Sie sind die ... die Hausangestellte hier?«, begann ich.
    Sie nickte.
    »Und Sie heißen?«
    »Katerina.«
    »Woher stammen Sie? Aus Russland?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Aus der Ukraine. Kiew. War mal Sowjetunion, jetzt ein eigenes Land.«
    Ich hob entschuldigend die Hände. »Tut mir leid. Wissen Sie, hier im ungebildeten Westen, spricht man nur von Russland und Putin und Sankt Petersburg. Ich kenne auch bloß ein paar ukrainische Fußballer. Schewtschenko, Woronin, Oleg Blochin ...«
    »Blochin ist Trainer«, erklärte sie. »Und die Mannschaft hat schlecht gespielt bei der WM.«
    Ich grinste. »Ihr Deutsch ist hervorragend.« Das war kein bisschen übertrieben.
    »Danke. Ich habe in Kiew Sprachen studiert.«
    Und nun putzte sie den Kapitalisten die Doppelglasscheiben, stieg das Leiterchen im kurzen Schwarzen nach oben und wackelte dabei mit dem Hintern. Auf dass es dem Hausherrn warm ums Herz wurde. So blieb wenigstens die Kontinuität gewahrt. Zwei Generationen zuvor hatten wir Zwangsarbeiter aus der Ukraine, mittlerweile kamen sie freiwillig zu uns.
    »Und Sie helfen im Haushalt? Putzen, kochen, einkaufen ...?«
    »Ein Jahr lang. Dann gehe ich zurück nach Kiew und studiere weiter. Und Sie?«
    »Wie gesagt, ich bin ein Geschäftsfreund von Herrn Bünting. Es geht da um ein neues Projekt ... ziemlich geheim, das Ganze, und noch in der Entwicklungsphase.« Ich legte die Fingerspitzen zusammen. »Wissen Sie, Katerina, der Grund, warum ich mit Ihnen reden möchte, ist der folgende: Mir scheint Hanjo – Herr Bünting – in den letzten Tagen sehr verändert. Unkonzentriert. Belastet. Als wenn ihm etwas schwer auf der Seele liegen würde. Leider möchte er mit mir nicht darüber reden.«
    »Soso«, sagte sie, stand auf, nahm eine Packung Zigaretten vom Tisch und zündete sich eine an. Rauchend blieb sie stehen und hörte sich meine lächerliche Geschichte an.
    »Mir könnte das im Grunde gleich sein«, fuhr ich fort. »Aber ich kenne Bünting schon sehr lange, und derart angeschlagen habe ich ihn noch nie erlebt. Wissen Sie, unser gemeinsames Vorhaben ist keines, das man auf die leichte Schulter nehmen könnte. Da braucht es einen langen Atem, Standfestigkeit, Durchsetzungsvermögen ... Und im Moment bin ich sehr skeptisch, ob mein Freund Hanjo – Herr Bünting – der richtige Partner dafür ist.«
    Sie schwieg. Ihre Miene verriet nicht, was sie dachte. Im besten Fall dachte sie wahrscheinlich nichts, und im schlechtesten ... nun, sie schickte mich wenigstens nicht raus. Vielleicht war das in der Ukraine auch völlig normal: dass da ein wildfremder Typ in dein Zimmer kommt und dir seltsame Fragen stellt.
    »Tja, Katerina ... Könnten Sie sich wohl vorstellen, was die Ursache für Herrn Büntings Zustand ist?«
    »Nein«, sagte sie. Ihr Gesicht verschwand fast im Zigarettenrauch.
    »Hat er in den letzten Tagen nicht ernster gewirkt als sonst? Nervöser?«
    »Nein, wirklich nicht.«
    »Und seine Frau? Gab es da vielleicht einen Anlass?«
    »Sind Sie Polizei?«, fragte Katerina zurück.
    »Bitte?«
    »Wenn Sie Polizei sind, gehen Sie bitte zu Herrn Bünting und fragen ihn nach meinen Papieren. Sie sind alle da, alle vollständig. Ich bin legal in Deutschland. Im Sommer gehe ich wieder zurück. Kann ich beweisen.«
    »Ich bin nicht von der Polizei, mich interessieren solche Dinge überhaupt nicht.«
    Sie wischte den Rauch mit einer heftigen Handbewegung zur Seite. »Oder Einwohneramt. Behörde. Ich weiß nicht ... Leute, die komische Fragen stellen. Ich bin beim Einkaufen mal gefragt worden. Wie ich

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