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Bergfriedhof

Bergfriedhof

Titel: Bergfriedhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Plastik-Pumpguns in der Hand, mit denen sie ihre Kollegen vollspritzten. Und diese Wasserpistolen enthielten eine klebrige rote Flüssigkeit, die den Burschenschafterwichs zwar nicht hässlicher, aber auch nicht gerade schöner machte. Die Schützen brüllten vor Begeisterung, die Getroffenen vor Schreck und Überraschung, und erst, als einem der Angreifer die Mütze vom Kopf fiel und lange zusammengebundene Haare freigab, kapierte ich. Offenbar hatten sich fünf oder sechs Linke in Montur unter die Sänger gemischt, um die allgemeine Verwirrung durch das Bombardement von oben zum Losschlagen zu nutzen. Ein perfider Plan! Bis die Burschen ihre Situation begriffen, hatte jeder von ihnen eine Ladung Farbe abgekriegt. Ihre beamteten Leibwächter bollerten derweil gegen Haustüren, stürmten Treppen hoch und bekamen nichts mit.
    Innerlich applaudierte ich. Ein überzeugend vorgetragener Angriff verdient immer meinen Beifall, egal ob im Fußball, beim Schach oder auf dem Marktplatz. Aber nur innerlich. Nach außen hin tat ich etwas ganz anderes. Direkt vor mir nämlich war eine Keilerei in Gang und Arndt Bünting ihr Opfer. Er hatte sich auf die Linken gestürzt, Todesverachtung in den Augen – mit dem Ergebnis, dass ihm eine gegnerische Faust genau dorthin, nämlich zwischen die Augen, fuhr. Er heulte auf und sank zu Boden.
    Das war zu viel. Ich brauchte den jungen Bünting noch. Wer außer ihm konnte mir Informationen über seinen Großvater geben? Ohne lange zu überlegen, warf ich mich zwischen die Prügelnden.
     
     
     

21
    »Na, immer noch beim Schnuppertest?« tönte es hinter mir.
    Ich drehte mich um. Tatsächlich, die kleine, resolute Oma. Wie vorgestern mit Harke und Gießkanne bewaffnet, gewellte Haare, schlichtes graues Kleid. Grau hat einfach immer Saison. Und wie sie mich anblickte! Diese Frau gefiel mir. Sie war streng, und sie hatte Humor. Schnuppertest ... sie hatte es nicht vergessen.
    »Der Schnuppertest«, dozierte ich. »Oft kritisiert und doch unverzichtbar. Worauf stehen wir in diesem Augenblick? Auf Sedimenten. Auf Ablagerungen der Jahrhunderte ...«
    »Reden können Sie wie ein Wasserfall«, unterbrach sie mich. »Aber nur dummes Zeug. Ich habe meinen Neffen gefragt, der ist Physiker, ob er schon mal von so einem Test gehört hat, und er hat gesagt, dass Sie mir einen Bären aufgebunden haben. Alles Humbug, das mit dem Geschnuppere.«
    »Physiker!«, rief ich und hob abwehrend die Hände. »Bleiben Sie mir fort mit Physikern. Das ist eine Sache für Geologen und Chemiker. Wissen Sie, die Fachleute von den DACH ...«
    »Papperlapapp!«, sagte sie und drohte mir mit der Harke. »Ich will jetzt wissen, was Sie hier wirklich suchen. Sie schnüffeln doch andauernd hier herum.«
    »Sind wir nicht alle auf der Suche?«, murmelte ich.
    »Am Samstag sagten Sie, Sie hätten etwas verloren.«
    »Sagte ich das?«
    »Ich bin nicht verkalkt, junger Mann, auch wenn ich so aussehe.«
    Ich grinste. »Sie sehen nicht so aus. Wissen Sie, heute bin ich hier, um mir Gräber anzusehen.«
    »Welche? Die hier?« Sie zeigte auf die Grabplatten aus den Kriegsjahren.
    Ich nickte.
    »Soso. Interessant. Darf ich fragen, warum?«
    »Sagt Ihnen der Name Bünting etwas?« erwiderte ich nach kurzem Zögern. »Hanjo Bünting?«
    »Nein, nie gehört.«
    »Wirklich nicht? Ein Industrieller, der seinen Altersruhesitz in Neuenheim hat. In einer Prachtvilla.« Und wenn ein kleines Wunder geschieht, fügte ich für mich hinzu, wird demnächst ein Artikel über ihn in den Neckar-Nachrichten erscheinen.
    Sie schüttelte energisch den Kopf. »Der Name sagt mir nichts, und eine Familie Bünting werden Sie meines Wissens auf dem ganzen Bergfriedhof nicht finden. Hier oben auf keinen Fall. Hier liegen Kriegsopfer, ausgebombte arme Teufel, die kenne ich alle. Und bevor Sie jetzt weiterfragen, sage ich Ihnen etwas, junger Mann: Ich möchte wissen, warum Sie sich ausgerechnet für diese Gräber hier interessieren. Dafür habe ich meine Gründe, aber die verrate ich erst, wenn Sie mir alles gesagt haben.«
    »Tatsächlich?«, schmunzelte ich. 80 Jahre, aber geradeaus wie Napoleon.
    »Und kein Wort mehr vom Schnuppertest, verstanden?«
    »Okay, okay. Sie haben gewonnen. Das mit dem Schnüffeln war schon richtig. Ich bin Berufsschnüffler. Hier ist meine Karte.« Ich reichte Ihr ein Kärtchen, auf dem mein Name zu lesen war, meine Berufsbezeichnung, Adresse und so weiter. Ein schönes Kärtchen, distinguiert und vertrauenerweckend. Hab ich mir

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