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Bergfriedhof

Bergfriedhof

Titel: Bergfriedhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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als Erzieher, das heißt, er ist vormittags Kindergärtner und nachmittags ein freier Mann. Ob Fatty der einzige Kindergärtner von ganz Heidelberg ist, weiß ich nicht; der ideale ist er auf jeden Fall. Einen besseren Kumpel für die Knirpse als meinen gemütlichen, schwabbeligen, schnaufenden Freund kann ich mir nicht vorstellen. Mittlerweile sehen das auch Heidelbergs Mütter so. Der Kindergarten, in dem er arbeitet, kann sich vor Anfragen kaum noch retten. Vor allem die Kids mit Gewichtsproblemen wollen dorthin, kein Wunder. Wer könnte ihnen besser als Fatty zeigen, wie man rund und zufrieden durchs Leben walzt? Dick und depressiv kommen sie, dick und glücklich gehen sie.
    So viel zu Fatty. Ich hoffte nur, dass er diesen Auftrag nicht vermasselte. In ›vermasseln‹ steckt schließlich ›Masse‹. Oder ›Massel‹? Keine Ahnung. Der Zettel lag an seinem Platz, ich stieg wieder auf mein Rad – Rad Nummer drei, das rote war reparaturbedürftig – und fuhr nach Hause. Und traute meinen Augen nicht.
    Eine faustdicke Überraschung erwartete mich: mein vermisstes Rennrad. Da lehnte es am Zaun, als wäre es nie fort gewesen, und schien sich zu freuen, dass ich endlich kam. Wie ein treues Pferdchen.
     

20
    Das Stadtarchiv liegt im Rücken des Rathauses, etwa 100 Meter vom Marktplatz entfernt. Heute geschlossen. Eigentlich hatte es nie auf. Ich notierte mir die Öffnungszeiten: Dienstag und Donnerstag bis um 18.00 Uhr, Mittwoch und Freitag nur vormittags; morgen war zwar Dienstag, gleichzeitig aber Feiertag und daher sowieso zu. Na prima. Nicht, dass ich mich um diese Art von Recherche gerissen hätte; aber fast zwei volle Tage ohne die Möglichkeit, eine Auskunft über Büntings Vergangenheit zu erhalten, das gefiel mir nicht.
    Noch weniger gefiel mir, was sich derweil um mich herum abspielte. Schon bei der Fahrt durch die Altstadt waren mir ungewöhnlich viele Streifenwagen begegnet. An jeder Straßenecke stand einer. Wurde ich die denn nie los? Ich beugte mich tief über die Kruppe meines Stahlrosses und hielt mich im Schatten anderer Radfahrer. Man wusste ja nie. Selbst wenn ich nicht aktenkundig war und mein Fahndungsfoto noch nicht an den Litfaßsäulen hing – schön im Hintergrund bleiben, lautete das Gebot der Stunde.
    Doch das war leichter gesagt als getan. Das Pflaster der sonst so ruhigen Mönchsgasse, in der das Stadtarchiv liegt, hallte von den Tritten zahlreicher Menschen wider. Alle schienen in Eile, alle wirkten auffallend hektisch. Vom Neckar her preschte eine grüne Minna die Straße hoch. Ich drehte mich unwillkürlich zur Seite. Nicht weit entfernt, auf dem Karlsplatz, schien die Polizei einen Sammelpunkt eingerichtet zu haben. Dort ließen Beamte auf Motorrädern ihre Maschinen aufheulen, Einsatzleiter schimpften in ihre Walkie-Talkies, Oberbefehlshaber blickten grimmig auf Lagepläne. Ein derartiges Großaufgebot an Polizisten hatte ich noch nie erlebt.
    Irgendwo in der Altstadt musste ein wichtiges Ereignis stattfinden. Aber was? Eine Großrazzia unter Touristen? Eine Demonstration der Autonomen? Wurde der aufmüpfige Redakteur der Neckar-Nachrichten verhaftet? Eines zumindest war sicher: Mir kleinem Ermittler konnte dieser Aufmarsch nicht gelten.
    Wem aber dann?
    Ich hätte mich nun natürlich verziehen können. Selbst wenn die Alte Brücke gesperrt oder voller Ordnungshüter gewesen wäre, hätte ich den Neckar weiter östlich auf dem Wehrsteg überqueren und dann zurück nach Neuenheim fahren können. Aber erstens wäre das ein kleiner Umweg gewesen, und zweitens plagte mich die Neugier. Deshalb stieg ich ab, griff mein Fahrrad am Lenker, schob es neben mir her und ließ mich von der Menge treiben. Folgte Touristen und Einheimischen Richtung Marktplatz, mitten hinein ins Vergnügen. Wir bogen eben um die Rathausecke, als die Turmuhr der Heiliggeistkirche sechs schlug. Die feierliche Untermalung für ein seltsames Schauspiel.
    Eine große Menschenmenge – Touristen, Studenten, Spaziergänger, auch viele Kinder – versperrten den Blick auf den Brunnen zwischen Rathaus und Kirche. 300-400 Personen mochten es sein. Sie bildeten einen Kreis wie beim Auftritt eines Feuerschluckers in der Fußgängerzone, nur dass dieser hier viel breiter angelegt war. Der restliche Teil des Platzes wurde von den verwaisten Stühlen und Tischen der Marktcafés eingenommen. In den Fenstern hingen Gaffer, es wurde geknipst und gefilmt. Herbeieilende Passanten stolperten über ihre Füße, Babys schrieen, die

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