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Bergfriedhof

Bergfriedhof

Titel: Bergfriedhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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noch gut erwischt – vergleichsweise. Drüben in Mannheim wurden ganze Straßenzüge platt gemacht, da war nichts mehr, kein Stein auf dem anderen, ich habs mit eigenen Augen gesehen. Oder nehmen Sie Dresden, Hamburg, Köln ... Nur, dass durch diese eine dumme Bombe meine kleine Schwester ... Sie war hübsch, viel hübscher als ich, und sie hatte einen Verehrer.« Unvermittelt begann sie zu lachen. »Na, Sie werden sich so eine alte Schachtel wie mich nicht als 20-Jährige vorstellen können. Aber ich rede zu viel!«
    Ich grinste, überlegte mir ein paar Komplimente und verwarf sie wieder.
    »Und die anderen Opfer? Wer sind die?«
    »Alles Leute aus der gleichen Straße«, antwortete sie. »Hier, die Großkopfs, das war die Familie, von denen keiner überlebt hat. Den Pachulke, einen Zwangsarbeiter, hatten sie in der Nacht im Haus, weiß nicht, warum. Die anderen waren Nachbarn, lauter nette Menschen. Na, fast alle«, fügte sie nachdenklich hinzu.
    »Und der da?«
    »Der Burkhardt? Warum fragen Sie nach dem? Ein junger SS-ler war das, von auswärts. Der wohnte gar nicht in der Bergheimer. Wird sich wohl bei den Großkopf-Mädels rumgetrieben haben, so einer war das nämlich. Na, nichts Schlechtes über die Toten ...«
    »Kein Heidelberger also?«
    »Nein. Gekannt habe ich den nicht. Weiß nur, dass er ein Draufgänger war. Genützt hat es ihm nichts.«
    Eine Weile hingen wir unseren eigenen Gedanken nach, dann setzte sie hinzu: »Man hat sie in aller Eile hier oben begraben; später, nach dem Krieg, wurde dafür gesorgt, dass jedes Grab eine schlichte Steinplatte bekam. Zum Zeichen dafür, dass darunter Bombenopfer liegen. Seien wir froh, dass es nicht mehr geworden sind.«
    Ich nickte. 19 Jahre ... Was hatte ich mit 19 getan? Nichts Sinnvolles jedenfalls.
    »Na, junger Mann? Das wird Sie nicht viel weitergebracht haben, oder?«
    Wahrscheinlich nicht. Aber man konnte ja nie wissen. Ich bedankte mich für die Geschichtsstunde, füllte der Dame zum Abschied eine Gießkanne und fuhr davon.
    Vielleicht konnte ich im Stadtarchiv mehr über diesen Burkhardt erfahren.
     

22
    Es war wie im Film. Die Schatten wurden länger, die Fäuste flogen, die Menge kreischte. Und ich, Max Koller, mittendrin.
    Zunächst versuchte ich, Arndts Peiniger abzudrängen, aber die hatten sich bereits ein anderes Opfer gesucht, auf dem sie herumknufften. Arndt lag in Embryohaltung auf dem Boden, hielt sich schützend die Arme vors Gesicht und machte keinerlei Anstalten aufzustehen. Ich ergriff seine Beine und wollte ihn aus der Gefahrenzone schleppen, da rempelte mich eine ganze Gruppe von Streithähnen an und purzelte über mich. Ineinander verhakt wie Nut und Feder, tobten sie sich über mir aus. Es bedurfte einiger energischer Befreiungsschläge, bis ich mich von dieser Last befreit hatte. Heftig nach Luft schnappend, schaute ich mich um. Wer war hier wer? Ringsum prügelten sich ausschließlich junge Männer in Burschenwichs. Echte und falsche Korporierte waren nicht auseinanderzuhalten, vermutlich nicht einmal für die Sangesbrüder selbst. Wer weiß, vielleicht wurden hier nebenbei ein paar alte Rechnungen beglichen.
    Unter all den Uniformierten war ich die einzige Person in Zivil. Wie lange mich das vor Angriffen schützte, wagte ich nicht zu sagen. Zumindest verunsicherte es die Kontrahenten. Ein baumlanger Burschenschafter baute sich auf der Suche nach Gegnern vor mir auf, glotzte ratlos und wandte sich wieder ab. Blödmann, rief ich ihm nach, klopfte mir den Schmutz von den Kleidern und ging zu Arndt hinüber. Doch schon stellte sich mir der nächste Chorknabe in den Weg. Eine gruselige Narbe reichte von einem Mundwinkel bis zu seinem Ohr, seine Unterlippe hing herab. »Pass nur auf, du Arschloch!«, brüllte er. Offensichtlich war ihm schnuppe, wen er warum vor den Fäusten hatte. Hauptsache prügeln. Er fixierte mich kurz und schlug zu.
    Was für ein Klabautermann!
    Seine Faust zischte an meinem Ohr vorbei; ich hatte sie kommen sehen und war rechtzeitig ausgewichen. Er schüttelte sich verblüfft, dann holte er ein zweites Mal aus. Was sollte ich tun? Wie konnte ich in diesem Fall neutral bleiben?
    »Tus nicht«, sagte ich. »Es ist Notwehr, wenn ich ...«
    »Halts Maul«, grölte er.
    Ich zog mich ein paar Meter zurück – kleines taktisches Manöver –, ohne den Kerl aus den Augen zu lassen. Ein Gemisch aus Aftershave und Bier wehte zu mir herüber. Mit einem von beiden hatte er sich Mut angetrunken. Im Schutz des Brunnens

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