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Bergfriedhof

Bergfriedhof

Titel: Bergfriedhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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mal am Bahnhof vom Automaten ausdrucken lassen.
    »Ohne Lesebrille erkenne ich nichts«, sagte sie und gab mir die Karte zurück. »Was heißt das, Berufsschnüffler?«
    »Ich bin Privatdetektiv. Stelle Ermittlungen an, Nachforschungen, versuche Leuten zu helfen.«
    »Ach.«
    »Ist ein ganz normaler Beruf. Völlig unspektakulär.«
    »Geht es um Mord?«, fragte sie unschuldig.
    »Nicht ganz. Ich kann Ihnen nicht in allen Einzelheiten erzählen, worum es sich handelt. Das hat nichts mit Ihnen zu tun. Ich bin meinem Klienten gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichtet.«
    »Diesem Bünting?«
    »Genau. In seinem Auftrag versuche ich, etwas über diese Gräber hier herauszufinden. Vielleicht können Sie mir weiterhelfen.«
    »Ich?«
    »Sagten Sie nicht gerade, Sie kannten die Leute, die hier liegen? Und dass Sie ein persönliches Interesse an den Grabstellen hätten?«
    »Das kann man doch wohl sagen, wenn hier die eigene Schwester liegt.«
    »Ihre Schwester?«
    »Ja.« Sie zeigte auf das Grab von Margarete Neubusch. Der Herr hat sie in Liebe zu sich genommen. Geboren 1925, gestorben 1945. »Da hat sie ihre letzte Ruhestätte gefunden, die Kleine. Wegen ihr komme ich immer hierher. Einmal pro Woche, zurzeit öfter, weil es ja gar nicht mehr regnen will.«
    Ich ließ meine Blicke über die Gräber gleiten. Bis auf die Blumen war die letzte Ruhestätte der Schwester genauso schlicht gehalten wie alle anderen. Und genauso gepflegt und sauber. Ich hegte den starken Verdacht, dass sich meine Oma um sämtliche Gräber hier oben kümmerte. Frische Blumen hinstellte, das Gras schnitt, die Wege harkte. Wahrscheinlich war sie überhaupt die Einzige, die das tat.
    »Und die anderen?«, fragte ich.
    »Alles Heidelberger Kriegstote. 1945, kurz vor Kriegsende, wurden wir ausgebombt.«
    »Bomben? Auf Heidelberg? Ich dachte, die Stadt wäre verschont geblieben.«
    »Ist sie ja auch. Größtenteils zumindest. Aber ein paar«, sie lachte bitter, »ein paar versehentliche Treffer gab es trotzdem.«
    »Und deren Opfer liegen nun hier.«
    Sie nickte. »Wenn Sie wollen, erzähle ich Ihnen, wie das damals war. Interessiert es Sie? Sagen Sie es einfach, wenn ich Sie langweile.« Sie sah mich scharf an. »Meistens wollen die jungen Leute diese alten Geschichten nicht mehr hören.«
    »Nein, nein«, protestierte ich. »Legen Sie los.«
    »Schön. Es war im März 1945. Wie gesagt, kurz vor Kriegsende. Wir Deutschen längst auf dem Rückzug, die Amerikaner auf dem Vormarsch. Mannheim und Ludwigshafen hatten sie in Schutt und Asche gelegt, aber Heidelberg war schon als Hauptquartier ausgeguckt. Weil hier vor dem Krieg so viele von ihnen studiert hatten.«
    Ich nickte.
    »Gezielt bombardiert haben sie nur ein paar Industrieanlagen und Bahnstrecken: die nach Mannheim und nach Karlsruhe und die ins Neckartal. Und Brücken.«
    »Die Alte Brücke zum Beispiel.«
    »Unsinn«, widersprach sie mir scharf. »Die Alte Brücke haben wir selbst gesprengt. Wir Deutschen, beim Rückzug. Als wenn das noch was gebracht hätte! Wäre es nach dem Willen des Gauleiters gegangen, hätten wir die Stadt mit Mann und Maus verteidigt. Bis zum letzten Blutstropfen. Gott sei Dank waren nicht alle so verblödet wie der. Die Alte Brücke jedenfalls hat man an Ostern gesprengt. Für nichts und wieder nichts. Am Ende wurde sie mit amerikanischen Geldern wieder aufgebaut. So war das.«
    »Aha.« Ich nickte brav. Wie in der Schule. Nur zum Mitschreiben hatte ich nichts.
    Die alte Frau stellte die Gießkanne ab und zeichnete mit der Harke Figuren in den Sand. »Jedenfalls warfen die Alliierten schon all die Monate vorher Bomben auf solche strategischen Ziele, wie sie es nannten, und irgendwann fielen halt ein paar daneben. Beim letzten Luftangriff im März trafen sie die Bergheimer Straße, ganz in der Nähe des heutigen Betriebshofs. Dort wohnten wir. Eine komplette Familie, sechs Mann hoch, haben sie ausgelöscht. Ja, und dazu meine Schwester. Insgesamt 11 Tote.« Sie zeigte auf die Gräber. »Hier liegen sie nun. Seit über 60 Jahren.«
    Pause. Wir schauten hinüber.
    »Sie war 19.«
    Ich kratzte mich an der Nase. »War sie die Einzige Ihrer Familie, die dabei umkam?«
    »Ja, die Einzige«, gab sie zur Antwort und sah mich wieder an. »Wissen Sie, wir hatten keine Veranlassung, das Elend der Welt zu bejammern. Immer wieder haben wir die Feuer über Mannheim gesehen, die nächtliche Flakabwehr, und wir haben sogar gehört, wie sie die Stadt zusammenschossen. Wir hier hatten es

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