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Bergfriedhof

Bergfriedhof

Titel: Bergfriedhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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sollte ich auch an seinem PC? Dürfen wir ja offiziell nicht. Und nun ist es doch passiert.«
    »Netter Kerl, dein Manfred.«
    Sie zog eine zweite Zigarette hervor. »Ach, ein Schwätzer. Aber harmlos. Als Chef eine Nulpe. Hat immer Angst, uns autoritär zu behandeln, jemandem weh zu tun.«
    »Und deshalb verrät er geschätzten Mitarbeiterinnen bereitwillig sein Passwort?«
    »Nein, deshalb versucht er, sich bei allen lieb Kind zu machen. Und bewirkt damit das Gegenteil. Ein hoffnungsloser Fall. Armer Manfred.«
     
     
     

24
    Ich blinzelte in die tief stehende Sonne. Mit dem Tag, so beschloss ich, sollte sich auch meine Ohnmacht ihrem Ende zuneigen. Stöhnend richtete ich mich auf und betastete meine Wange. Wenigstens der Schmerz war echt. Immer noch herrschte Trubel auf dem Marktplatz, aber der Lärm ebbte ab, die Kräfte der Widersacher schienen zu erlahmen. Arndts Freunde hatten die dreiminütige Auszeit, die ich mir gönnte, genutzt, um ihn und mich aus dem unmittelbaren Krisengebiet in Sicherheit zu bringen. Gemeinsam lagen wir vor einem Hoftor in der Steingasse, mit Blick auf die Alte Brücke. Dort wurden die Verluste gezählt, Fäuste geschüttelt und Wunden geleckt. Die Stimmung, kein Wunder, war auf einem Tiefpunkt.
    »Na, geht es wieder?«, fragte einer meiner Träger, als er mein unverhofftes Erwachen bemerkte. Er war ein korpulenter Hüne mit Bürstenhaarschnitt und kleinen, dicht zusammenliegenden Augen. Seine Mütze hatte er verloren, er war dreckverschmiert und blutete aus der Nase. Seiner Statur nach zu urteilen, stand es um seine Gegner allerdings kaum besser.
    »Jaja, geht schon«, murmelte ich. »Komisch ... plötzlich war mir ganz anders. Ich kann kein Blut sehen ...« Die Umstehenden nickten teilnahmsvoll.
    Alles starrte auf meine Wange. Ich wischte mit den Fingern über die Stelle. Da war eine seltsam schmierige Flüssigkeit: etwas Blut, Dreck, dazu ein undefinierbares, schleimiges Zeug. Es sah wirklich schlimm aus. Ekelhaft. Jetzt brauchte ich die Übelkeit nicht mehr zu spielen.
    »Haben die C-Waffen eingesetzt?«, flüsterte einer. Wahrscheinlich meinte er es sogar ernst. Hinter seiner dickwandigen Brille traten große Glubschaugen hervor; seine Uniform war wie beim Action-Painting über und über mit roter Farbe bekleckert. Er reichte mir ein Taschentuch, mit dem ich mir vorsichtig die Wunde abtrocknete.
    »Bist du von einem Stein getroffen worden?«, fragte der Hüne.
    »Keine Ahnung. Wahrscheinlich. Jedenfalls hat er mich umgehauen.«
    Aber dieser Schleim ... Wo kam der bloß her?
    Jemand lachte. Ein meckerndes, zynisches Lachen. Alles wandte sich um. Da stand ein langer, dünner Kerl mit scharf geschnittener, höckriger Nase und einer kleinen Narbe in Augennähe. Er hielt sich etwas krumm und hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Auch wenn sein Blick Intelligenz verhieß: Er war genau der Typ, den man beim Fußballspielen nicht in der eigenen Mannschaft haben möchte und der bei jeder Theateraufführung den Mephisto spielen darf.
    »Kein Stein«, sagte er näherkommend. »Tut mir leid, Sie enttäuschen zu müssen. Es handelte sich sozusagen um das Ei des Kolumbus.« Er beugte sich zu mir herab und hielt mir eine Eierschale vor die Nase.
    »Ein Ei?«, stammelte ich verdattert und griff mir an die Wange.
    »Ein Ei«, wiederholte er gelassen. »Kleine Sache, große Wirkung. Wollen wir hoffen, dass es kein faules war.« Prüfend schnupperte er an der Schale.
    Tja, dumm gelaufen. Einen schlechteren Auslöser für Ohnmacht und heroisches Leiden hätte ich mir nicht aussuchen können. Ein Ei, ein bescheuertes, banales Ei! Hätte nie gedacht, dass die Dinger so scharfkantig sind.
    »Der Schock«, versuchte ich zu erklären. »Der hat mich ... Und dieser Schleim ... Ich dachte, das sei Eiter oder so was.«
    »Ich auch«, sagte der mit den Glubschaugen. »Wie das aussieht ...«
    Bis auf den Langen zeigten alle vollstes Verständnis für meine Reaktion. Und warum taten sie das? Weil ihr schlechtes Gewissen es ihnen befahl. Spuren des Kampfes zeigten sich allein auf ihrer Kleidung, sie selbst hatten keine Wunden, keinen Schleim an der Wange, kein blaues Auge, nichts. Nur eine blutende Nase. Bisschen wenig für eine uniformierte Jungmännertruppe, fand ich.
    Halt, einen hatte ich vergessen. Er saß neben mir an die Hauswand gelehnt, die Arme um die Knie geklammert, das Gesicht ziemlich lädiert.
    »Und du?«, fragte ihn die Adlernase und schnippte die Eierschale zur Seite. »Diesmal

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