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Bergfriedhof

Bergfriedhof

Titel: Bergfriedhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Horst-Wessel-Lied.«
    Sie winkte ab. Ich sah schon: Alle meine Einwände würden an ihrem ehernen Weltbild abprallen.
    »Ich war im Dienst«, sagte ich abschließend, »und im Dienst sind für mich alle gleich. Aber lassen wir das. Ich hab nicht vor, mich einzuschreiben und Mensur zu fechten. Ein Schmiss reicht mir.«
    Sie schüttelte den Kopf und schaute hinaus in die Dunkelheit. Eine Zeit lang schwiegen wir. Es war nicht der Gesprächsbeginn, den sie sich erhofft hatte. Ich hatte mich herumgeprügelt wie ein Pennäler, und das auch noch auf der falschen Seite. Damit waren zwei Themen angeschnitten, die Christine als Krisenzentrum unserer verkorksten Beziehung ausgemacht hatte: meine Unfähigkeit, mich wie ein Erwachsener zu benehmen, und meine Prinzipienlosigkeit.
    Dabei bin überhaupt nicht prinzipienlos, im Gegenteil. Wenn ich zum Beispiel einen Auftrag annahm, der diesen Namen verdiente – was während unserer kurzen Ehe nicht allzu oft vorkam –, dann nahm ich ihn mit allen Konsequenzen an. Dann galt als oberstes Prinzip, dass jeder Klient gleich behandelt wurde, selbst wenn er vorbestraft oder Pornograf oder NPD-Mitglied war. Oder all dies zusammen. Ich meine, irgendwann musste ich mir ja einen Namen in der Branche machen. Und wie, wenn nicht durch gewissenhafte, ehrliche Arbeit, durch Neutralität und Verlässlichkeit? Das ist so ein weiblich-sozialdemokratischer Tick von ihr, dass jeder von uns mit jeder seiner Tätigkeiten zum Wohle der Menschheit beitragen soll. Klammer auf: Frau Weltverbesserin Christine Markwart arbeitet in einem der Bürgerämter der Stadt, über ihrem Haupt Neonröhren, unter ihren Sohlen PVC-Boden; dort verteilt sie Anmeldeformulare und Anwohnerparkmarken und Behindertenausweise und die blaue Banderole für Restmüllsäcke. Klammer zu.
    Da war es wieder, das ferne Donnergrollen.
    Ollis Büttel nahm die Bestellung auf. Auch so ein angeblicher Grieche. Ein Schrank von einem Kerl, der seine Prachtfigur in millimetergenau sitzende schwarze Anzüge zwängt, aber den Mund macht er partout nicht auf. Stumm kam er angestiefelt, stumm stellte er sich in Positur und sah uns auffordernd an.
    »Ich nehme die Moussaka«, sagte Christine.
    »Lamm mit Okraschoten. Und Ollis Hauswein, wie immer.«
    Der Schrank verzog keine Miene. Nur seine Finger bewegten sich leicht, als sie Hieroglyphen auf den Bestellzettel zauberten. Wortlos ging er, nicht einmal ein Augenzwinkern hatte er uns gegönnt. Der Mann ist wirklich Ganzkörperminimalist.
    Christine drückte ihre Zigarette aus und sah an mir vorbei.
    Prinzipienlos, um darauf zurückzukommen, prinzipienlos bin ich nur im Vergleich mit meiner Exfrau. Anders als sie, bediene ich mich keines vorgestanzten Schemas, in das ich meine Mitbürger presse, sobald sie eine politische Bemerkung machen oder eine Uniform tragen. Das heißt nicht, dass ich keine Vorurteile hätte, im Gegenteil. Aber es ist nicht die Art von Vorurteilen, mit denen mich einst wohlmeinende Eltern, das Godesberger Programm auf den Knien, in den Schlaf gesungen haben. Das Einzige, was man mir eventuell vorwerfen kann, und genau dies täte Christine liebend gerne, ist mein schwankendes Verhältnis zum Geld. Es kommt schon einmal vor, dass ich für ein ordentliches Honorar sämtliche Bedenken über Bord werfe. Stimmt die Kohle, werden all meine Abneigungen und Vorurteile zu bunten, leichten Luftballons, die zum Himmel hin entschweben.
    Und warum tut sie es nicht? Ich meine: Warum wirft mir Christine diese Fixierung aufs Geld nicht vor? Aus Rücksichtnahme natürlich. Aus Feinfühligkeit und Rücksichtnahme; weil sie am besten weiß, dass ich mir Hochmut gegenüber meinen Kunden nicht leisten kann, weil sie weiß, dass ich dauerhaft klamm bin und daher auf jeden Cent angewiesen.
    Was aber würde sie zu meiner aktuellen Situation sagen: dass ich auf eigene Faust recherchiere, mir dabei die Fresse polieren lasse, ohne Aussicht auf ein Honorar? Genaugenommen sogar nach einer Abstandszahlung?
    Der Wein kam. Wir stießen an.
    »Vielen Dank noch mal für deine Hilfe«, sagte ich. Höchste Zeit für ein paar nette Worte.
    »Nicht der Rede wert. War kein größeres Problem.«
    »Und dich hat niemand dabei gesehen?«
    »Nein, nein, kein Mensch im Hause. Ich musste nur Manfreds Computer anwerfen. Er hat mir sein Passwort verraten und gesagt, ich könnte jederzeit an ihn ran.«
    »An den Computer.«
    »Genau.« Sie grinste mit Verspätung. »Natürlich sagte ich damals, ich würde mich hüten. Was

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