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Bergfriedhof

Bergfriedhof

Titel: Bergfriedhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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    »Ach, ich bin in der Lokalredaktion«, sagte ich. »Da fällt so ziemlich alles an, mal Sportereignisse, Stadtpolitik natürlich, Vereine, Versammlungen ...«
    »Schreiben Sie über den Krawall von gestern?«
    »Nein, das macht ein Kollege von mir.« Ich tat, als dächte ich angestrengt nach. »Warte, das müsste Marc sein. Ja, Marc Covet.«
    Er nickte. Ein feines Kraut, das er da schmauchte. »Sie waren also nur zufällig auf dem Marktplatz?«
    Schon wieder diese Nachfrage! Die waren vielleicht misstrauisch, die Mützenträger.
    »Ja«, sagte ich, »ganz zufällig. Ich kam gerade vom Stadt-archiv, wegen diverser Recherchen. Leider war es geschlossen.« Na los, frag mich doch nach den Öffnungszeiten, misstrauischer Hund!
    »Und über was schreiben Sie gerade, wenn ich fragen darf?«
    Auch da brauchte ich nicht lange zu überlegen. »Oh, das ist eine ziemlich spannende Geschichte. Wir starten da eine neue Reihe im Lokalteil: Große Köpfe unserer Heimat . In loser Folge werden wichtige Heidelberger vorgestellt, die sich um Kultur, Politik und Wissenschaft verdient gemacht haben. Lauter Hochkaräter.«
    »Das klingt interessant.«
    »Nicht wahr?«, sagte ich und beschloss, aufs Ganze zu gehen. »Ich zum Beispiel soll einen Industriellen porträtieren, der eine kleine Chemiefirma in die Weltspitze katapultiert hat. In Darmstadt zwar, er wohnt aber schon ewig hier in Heidelberg.«
    »Heißt der Mensch etwa Bünting?«, erkundigte sich die Adlernase wunschgemäß.
    »Ja, richtig. Kennst du ihn?«
    »Sein Enkel gehört zu uns«, antwortete er, als rede er von einer Partei oder einem Volksstamm. »Derselbe, den Sie gestern vorm Heldentod bewahrt haben.«
    »Arndt? Das gibts doch nicht!« Die Verblüffung machte mich sprachlos. »Da sieht man mal wieder, was für ein Dorf Heidelberg ist. Arndt der Enkel von Bünting, nicht zu fassen ...«
    »Ja ja, so ein Zufall.« Mein Gegenüber nuckelte gedankenverloren an seiner Pfeife.
    »Sag ich doch. Da spaziert man einmal am Marktplatz vorbei ...« So beschwor ich ihn noch ein Weilchen, den allmächtigen Gevatter Zufall, und Marten nickte dazu. Wie klein doch die Welt ist ... Unverhofft kommt oft ... Schwer zu sagen, wer hier wem eine Komödie vorspielte. Wahrscheinlich traute mir der undurchsichtige Theologe genauso wenig über den Weg wie ich ihm. Mal sehen, wie die Sache ausging. Noch stand es unentschieden.
    »Also, das muss ich Arndt erzählen«, sagte ich, immer noch kopfschüttelnd. »Außerdem brauche ich ein neues Bier.«
    Marten nickte gnädig.
    Wir beide waren die Letzten gewesen, die der Abendkühle getrotzt hatten. Wind war aufgekommen, die Luft roch nach Regen. Drinnen scharte sich alles um den Ausschank. Ich sah Frank für zwei zapfen, während der brave Konstantin die Senioren versorgte und die Damenwelt sich über den Sekt hermachte. Arndt stand zusammen mit Arsani, einem Alten Herren, zwei jungen Mädchen und einem weiteren Burschen ins Gespräch vertieft. Ein frisches Bier in der Hand, trat ich zu dem Grüppchen.
    Arsani war mit einer Reihe von Lachshäppchen beschäftigt und daher nicht Dreh- und Angelpunkt der Unterhaltung. Statt seiner führte der Alte Herr das Wort. Wenn ich es recht verstand, hatte er gerade den Russlandfeldzug erfolgreich absolviert und beklagte nun das Schicksal der Kunstgegenstände, die von der Roten Armee in Ostdeutschland gemopst worden waren.
    »Sie ahnen gar nicht«, rief er mit Fistelstimme, »was noch alles in russischen Magazinen liegt. Professor Arsani hat ja nur einen Bruchteil der Schätze erwähnt. In Moskau, Sankt Petersburg, Königsberg, überall. Der Russe hat alles mitgenommen, was nicht niet- und nagelfest war.«
    »Das Bernsteinzimmer auch?«, fragte ein Bursche mit auffallend heiserer Stimme, ich glaube, er hieß Georg.
    Arsani lachte mit vollen Backen. »Hören Sie auf mit dem Bernsteinzimmer, junger Mann!«, nuschelte er. »Das ist vorbei.«
    »Sagen Sie das nicht«, widersprach der Alte. Seine Haut war gelb und zäh wie gegerbtes Leder und voller Flecken an den Schläfen. »Sagen Sie das nicht. Es gibt Dokumente, die eine andere Sprache sprechen. Dokumente!«, wiederholte er und hob den zitternden Zeigefinger.
    »Ich habe auch gelesen, dass es womöglich in Russland versteckt ist«, pflichtete eines der Mädchen bei. Enganliegende Bluse, Mondgesicht, sanfte Kuhaugen. Um ihren Hals baumelte eine Goldkette mit Kreuz daran.
    Arsani winkte ab. »Vergessen Sies.« Er begann zu husten; da lag wohl ein Gürkchen

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