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Bergfriedhof

Bergfriedhof

Titel: Bergfriedhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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quer.
    Auch der Fleckige verneinte. »Das Bernsteinzimmer haben die Russen nicht, junge Frau. Das nicht.«
    Ich trat einen Schritt vor. »Was halten Sie von Kiew?«, fragte ich. »Ich habe gehört, Einzelteile des Zimmers sollen in Kiew versteckt sein. Dem Ukrainer traue ich so etwas zu.« Die Kuhäugige warf mir einen dankbaren Blick zu.
    Arsani hustete immer noch zum Gotterbarmen, während der Fleckige mich verächtlich musterte. »Wo haben Sie denn diese Räuberpistole her? Nein, nein, das Bernsteinzimmer ist komplett erhalten und an einem geheimen Ort. Aber nicht in Russland und nicht in der Ukraine.«
    »Sondern?«, fragte der mit der heiseren Stimme. »In Moldawien?«
    Das andere Mädchen fing an zu gackern. »Moldawien! So was Blödes!« Eigentlich war sie ganz hübsch mit ihren braunen Locken, dem schlanken Hals, den langen Beinen und noch längeren Wimpern. Ein bisschen viel Oberweite für meinen Geschmack. Dem Sekt hatte sie so mutig zugesprochen, dass sie sich nur noch mit Mühe aufrecht hielt. Vielleicht fand sie den Gedanken an Moldawien deshalb so komisch.
    »Nein, wirklich«, verteidigte sich Georg. »Ich hab ...«
    »Papperlapapp«, sagte der Alte mit strengem Blick. »Überhaupt nicht im Ostblock. Sondern ... – hier in Deutschland.«
    Das schlug ein wie eine Bombe. In Deutschland! Sensationell. Kuhauge, Georg und Arndt starrten den Sprecher mit offenem Mund an. Nur die Brünette schüttelte noch immer den Lockenkopf und murmelte kichernd »Moldawien« vor sich hin. Arsani war entschwunden, ein angebissenes Häppchen auf der Theke zurücklassend; weiter hinten hatte er ein Tablett mit kalten Hähnchenschlegeln erspäht.
    Zufrieden registrierte der Alte Herr, welchen Eindruck seine Worte gemacht hatten. »Jawohl, Deutschland. Das hätten Sie nicht erwartet, stimmts?«
    »Aber wo denn da?«, fragte Arndt mürrisch. »Und wieso bekommt man es dann nicht zu sehen?«
    »Tja«, sagte der Alte bedeutungsschwanger. »Tja ...« Er schaute sich um, ob auch kein Unberufener lauschte, um dann mit bebender Stimme zu flüstern: »Die Stasi.«
    »Die Stasi?« Das kam aus vier Mündern gleichzeitig, selbst mich hatte er überrumpelt.
    »Mit dem Untergang des Deutschen Reiches in jenen Maitagen«, begann er in tremolierendem Ton, »geriet das aus Königsberg nach Berlin transportierte Bernsteinzimmer in die Hände der Bolschewiken. Das ist eindeutig belegbar. Und es blieb in Deutschland, in der besetzten Zone. Die Russen hatten ja gar nicht die Fachleute und erst recht nicht das Geld dazu, es säuberlich zu zerlegen und nach Moskau zu transportieren. Nein, nein, das Bernsteinzimmer blieb in der Heimat. Es war sozusagen das Faustpfand der neuen Herrscher, die es vor dem Volk versteckt hielten. Ich erinnere mich an eine Bemerkung aus Ulbrichts Mund ...«
    »Wieso Moldawien?«, unterbrach ihn die Sektnymphe respektlos und stolperte ein wenig nach vorne. »Hoppla! Das ist doch völlig bescheuert. Wer bringt denn ein Sternbeinzimmer ... ein Bernsteinzimmer nach Moldawien? Da liegt doch der Bär begraben!«
    Na, wenn das der Moldawier gehört hätte! Zumindest unser Bernsteinjäger hatte es gehört. Er blickte die Brünette mit abgrundtiefer Verachtung an – im Vergleich dazu war ich mit einer kleinen Rüge weggekommen – und rückte von ihr ab. Bloß nicht mehr beachten.
    »Aber wo ist denn das Zimmer jetzt?«, rief die Blonde, die ihre Stunde gekommen sah.
    Der Alte Herr räusperte sich. »Wie ich schon sagte: Die Stasi sorgte dafür, dass es niemand erfuhr. Bis heute ist der genaue Ort unbekannt, und nur ein paar Kader der ehemaligen Sowjetzone wissen Näheres. Der Mielke hat das Geheimnis mit ins Grab genommen und der Wolf natürlich. Viele bleiben da nicht mehr. Man sollte den Gysi befragen, bevor der sich ebenfalls verabschiedet.«
    »Meine Tante war mal in Cottbus«, warf ich nachdenklich ein. »Dort haben sie ein Backsteinzimmer aus der Zeit des Alten Fritz ausgestellt. Das kann das aber nicht gewesen sein, oder?«
    Diesmal war die Verachtung unterirdisch. Gerne hätte der Alte mich aus seinem Blickfeld verbannt, aber wenn er sich abwandte, stand er wieder der Sektprinzessin gegenüber. Er reckte das Kinn und schenkte mir ein missliebiges Schnauben; neben ihm verzog die Blonde ihr Mondgesicht. Arsani, der fröhliche Professor, machte der lächerlichen Szene ein Ende, indem er dem Greis nachsichtig die Schulter tätschelte (mit links, die rechte Hand hielt ein Hähnchenbein) und erklärte: »Das Bernsteinzimmer

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