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Bergfriedhof

Bergfriedhof

Titel: Bergfriedhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Geräusch, was sich zu meinem eigenen Geschnaufe gesellte, war dumpfes Gewittergrollen. Der Ruf des Himmels: ab ins Bett! Aber nun war ich schon mal da, also konnte ich auch den nächsten Schritt noch unternehmen. Und den übernächsten. Zumindest einen Blick in die Fenster des Erdgeschosses wollte ich werfen – und vielleicht gab es eine Möglichkeit, auf einen Baum zu kraxeln, falls ein Zimmer im ersten Stock noch erleuchtet war.
    Ich schlich weiter.
    Kurz vor der bewährten Einstiegsstelle stolperte ich in ein Schlagloch und fiel der Länge nach hin. Zecherschicksal! Wie zum Hohn tat sich eine Lücke zwischen den Wolken auf, und der Mond erhellte für einige Momente die Umgebung. Kaum stand ich, verdrückte er sich wieder, der Mond. Ein lustiges Spielchen. Aber Max Koller hatte in dieser Nacht ein Ziel, auch wenn er es nicht genau benennen konnte, und von dessen Erreichen konnte ihn niemand abbringen. Der Mann im Mond schon mal gar nicht.
    Am Hang über mir schrie das obligatorische Käuzchen.
    Das Gitterwerk lief oben in langen Eisenspitzen aus. Hier galt es, sich in Acht zu nehmen. In meinem Zustand konnte eine solche Kletterpartie im Dunkeln schmerzhaft enden. Ich fand die richtige Stelle, schwang mich hinauf und setzte einen Fuß zwischen die Spitzen. Eine unangenehme Vorstellung, hinunter in die Dunkelheit zu springen, aber was konnte bei zwei Metern schon groß passieren? Ich sprang.
    Und fiel weich.
    Entsetzt warf ich mich zur Seite. Das Sprungkissen, auf dem ich gelandet war, hatte sich bewegt! Oder besser: Es hatte nachgegeben wie ein Kleidersack. Nein, nicht wie ein Kleidersack; wie ein Müllsack, der mit allem Möglichen gefüllt ist, mit Weichem und Hartem, Fleisch und Knochen ... Wie ein Mensch.
    Es war totenstill. Kein Käuzchen mehr. Ich wagte nicht, mich zu bewegen. Ich fror.
    Dann lugte der Mond wieder aus den Wolken hervor und beleuchtete meinen Müllsack. Für einen kurzen Moment nur, aber der genügte. Ich drehte mich weg. Mir wurde übel.
    Das arme Mädchen. War Katerina nicht das blühende Leben gewesen? Kein Prachtweib, keine sinnenbetörende Eva, aber doch eine junge Frau voller Zukunft ... Vorbei. Aus. Katerina hatte keine Zukunft mehr. Sie war verstummt, für immer, wie die Frau im Rollstuhl, die sie betreut hatte. Mit aufgerissenen Augen und schmerzverdrehten Gliedmaßen lag sie zwischen den Büschen – und ich Unglücksvogel war ihr auf den Bauch gesprungen! Als wenn das noch etwas ändern würde ... Trotzdem, es war so entsetzlich, es war so beschämend, dass mir fast die Tränen kamen.
    Fast; denn es gab weitere, viel abstoßendere Details. Ich bemerkte sie, weil der Mond wieder zwischen den Wolken hervortrat. Unbarmherzig zeigte er mir jeden Blutfleck auf Katerinas Leiche. Schräg über ihren Oberkörper zogen sich drei große, tiefe Wunden, wie auf einer Kette aufgereiht. Als hätte einer mit einem bestialisch großen Messer zugestochen oder mit einer Lanze oder einem Spieß, wie soll man das wissen. Ich schaute nach oben. Drei der rostigen Eisenspitzen glänzten feucht im Mondlicht ...
    Ich übergab mich.
    Als alles draußen war, und es war nicht wenig, hatte sich der Mond verzogen. Ich konnte die Umrisse des toten ukrainischen Hausmädchens vor mir nur ahnen. Was hatte sie verbrochen, dass man sie so abschlachtete? Wer hatte ein Interesse daran, eine junge Ausländerin auf ein Gitter zu spießen und sie dann im Unterholz liegen zu lassen? Denn ein Unfall konnte es nicht gewesen sein. Das heißt, es konnte schon – aber irgendjemand musste sie von da oben heruntergehoben und auf den Boden gelegt haben.
    Ich spuckte aus. Irgendjemand? Wieso irgendjemand? Gab es einen berechtigten, einen ernst zu nehmenden Zweifel daran, dass dieser jemand kein anderer war als mein Mäzen und Auftraggeber, der Hauptverbrecher Hanjo Bünting, Metzgermeister von Mammons Gnaden? In diesem Moment hätte ich ihn mit bloßen Händen erwürgen können. Wollte ihn winseln hören, röcheln, um Gnade flehen. Ich rappelte mich auf und schlich Richtung Villa. In die Dunkelheit hinein. Wieder grollte der Donner.
    Aber was war das bisschen Gewitter schon gegen das Grollen in mir?
    Nebenbei bemerkt: Den einen oder anderen Zweifel gab es. Dass ein über 70-Jähriger sich einer Frau bemächtigte, die in zwei Metern Höhe auf widerhakenähnlichen Eisenspitzen stak, schien schwer vorstellbar. Und wenn der Mann schon Mordgelüste verspürte, warum befriedigte er diese nicht ganz bequem im Haus? Das waren Einwände,

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