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Bergfriedhof

Bergfriedhof

Titel: Bergfriedhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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denen ich in nüchternem Zustand und ohne das Bild des aufgespießten Mädchens vor Augen vielleicht nachgegangen wäre. Aber so? Keine Chance. Ich wollte Rache. Jetzt.
    Die Umrisse von Büntings Villa vor mir, trat ich aus dem Buschwerk heraus auf die Wiese. Was genau ich unternehmen und wie ich vorgehen wollte, war mir noch nicht klar. Ich brauchte es mir auch nicht mehr zu überlegen. Denn in dem Moment hatte ich ein Déjà-vu-Erlebnis.
    Wiedersehen macht Freude, heißt es. Für diese Nacht galt das Sprichwort nicht. Wie die Wolken vor den Mond schob sich ein dunkler, unförmiger Gegenstand ohne Eile vor meine Augen. Ohne Eile, sage ich, und doch ging alles sehr schnell. Über mangelnde Deutlichkeit brauchte ich mich nicht zu beschweren. Nein, ich sah den Gegenstand sehr bewusst vor mir auftauchen, mein Sehfeld verdunkelnd ... ich rührte mich nicht, sondern wartete, bis er vor meinen Augen zerplatzte.
    Der Gegenstand war eine Faust. Wir kannten uns schon, das erleichterte den Umgang miteinander. Ringsum wurde es schwarz, schwärzer als je zuvor, und ich bettete meinen müden Körper hinterrücks aufs Gras.
    Irgendetwas in meinem Kopf ging zu Bruch; trotzdem war ich erleichtert. In der Ferne schrie mal wieder das blöde Käuzchen, üppige Frauenleiber à la Rubens wirbelten vor mir herum, schrumpften zu mageren Hausmägden zusammen, verwandelten sich in knochige Mumien, zerfielen, zerbröselten, zerstoben ... Eine Stimme, die wie Gertrud beim Losfahren klang, flüsterte »Moldawien, Moldawien«, und im Hintergrund schluchzte mein Vater: Der Fluch, Max! Denk an den Fluch ...
    Er hat schon recht: Ich bin der geborene Verlierer.
     
     

33
    Vielleicht hätte ich diesen zweiten Mord verhindern können. Kurz zuvor hatte ich im Saal der Rheno-Nicarier gestanden und ihre Waffen in Augenschein genommen. Mit gekreuzten Klingen hingen sie an der Wand. Ob der alte Bünting mit so etwas umgehen konnte? War er auch Mitglied einer Verbindung gewesen? Ich nahm eine der Waffen aus der Halterung. Sie war leicht und hatte eine beeindruckend scharfe Spitze.
    »Vorsicht, giftig«, rief jemand hinter mir. Frank, der Hüne, kam glucksend auf mich zugeschwankt. »Das ist ein Florett, an die 70 Jahre alt.«
    »Und damit kloppt ihr euch?«
    »Nee, nee, nicht mit dem. Mit dem Säbel hier.« Er zeigte auf eine Waffe mit aufwendig gearbeitetem Griff, um einiges schwerer als das zierliche Florett. »Das andere ist nur Dekoration, für besondere Anlässe.«
    »Wie der gestern?«
    »Nee, da singen wir bloß. Letzte Woche hatten wir das Ding mit, bei unserer Feier auf dem Ehrenfriedhof.«
    Ehrenfriedhof? Dort oben feierten die, zwischen den Gedenksteinen für Weltkriegsteilnehmer? Die Feier hätte ich erleben wollen.
    »Aber was stehste hier so dumm rum, Max?«, dröhnte Frank, nahm mich in den Arm und bugsierte mich weg von den Waffen Richtung Ausschank. Er schwankte wie eine Boje auf dem Neckar.
    »Was gibt es denn auf dem Ehrenfriedhof zu feiern?«
    »’ne Mensur, was sonst?«
    »Deine aber nicht«, sagte ich, auf sein Gesicht deutend, das rosig und glatt war wie ein Kinderpopo. Keine Spur eines Schmisses.
    »Nee, ich bin ja auch noch Fux.«
    »Fux?«
    »Bursche im Wartestand, sozusagen. Ich werd meine Mensur erst noch fechten, am Ende des Semesters.«
    »Und? Schiss?«
    »Schon. Hat jeder. Es geht ja auch nicht darum, keinen Schiss zu haben, sondern den Schiss zu überwinden. Stehenzubleiben, auch wenn du weißt, dass es gleich wehtut.«
    »Aha.« So war das also. Konnte man nicht mal was dagegen einwenden. Wir hatten die Theke erreicht. Er langte nach vorne und zapfte uns zwei Bier.
    »Euer Boss hat auch noch keine Mensur, oder?«
    »Marten? Doch, doch. Eine ganz kleine Narbe, kaum zu sehen.« Er grinste. »Ich glaube, der war ein Problemfall. Hats aber sonst echt drauf, der Junge.« Er prostete mir zu. »Los, ex, alter Schwede!«
    Ex, von wegen. Ich hatte längst genug. Die Farben auf den Bändern der Burschen vermochte ich nur noch zu unterscheiden, wenn ich die Augen zusammenkniff. Und doch hatte ich mich im Vergleich mit den übrigen Gästen zurückgehalten. Die langbeinige Brünette hielt sich nur aufrecht, weil ihr der bucklige Kunstgeschichtler Halt gab, zwei andere Mädchen lagen kreischend vor Lachen über ihren Gläsern, und in einem Lehnstuhl hing der, den ich Georg nannte, mit glasigen Augen und grünem Gesicht: eine Luftmatratze, der die Luft entwich.
    Frank stellte sein leeres Glas auf die Theke und wischte sich mit einem

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