Bergwasser: Ein Schweiz-Krimi (German Edition)
Zettel? Wieso ging er nicht einfach zur Polizei, wenn er etwas wusste?
Sie rappelte sich auf, zwängte sich aus ihrem Overall und hängte ihn in den Spind.
Was sollte das Versteckspiel? Wieso konnte der sich nicht zu erkennen geben und normal mit ihr kommunizieren? Zuerst wollte er sie nicht im Tunnel haben, dann warf er ihr Blindheit vor, und jetzt das? Wen meinte er überhaupt mit ›er‹? Stettler? Was war das für ein saublöder Kindergarten?
»Wie oft muss ich es Ihnen noch sagen? Ich war an diesem Abend mit einer Frau zusammen.«
»Die leider keinen Namen hat.« Franco staunte über die Sturheit des Mannes. Sie hatten ihn bereits über zwei Stunden verhört. Aber er war ihnen keinen Zentimeter entgegengekommen.
»Das habe ich Ihnen auch schon etwa viermal erklärt.«
»Dann erklären Sie es mir noch ein fünftes Mal!« Von diesem Bautypen ließ er sich nicht wie ein Schulbub behandeln.
»Ich kann Ihnen den Namen nicht nennen.«
»Können oder wollen?«
Stettler schlug mit der Faust auf den Tisch.
»Wir können das Verhör auch in Handschellen fortführen«, drohte Franco.
»Das ist nicht nötig.«
»Also, dann bitte den Namen.«
Stettler stöhnte. »Ana. Ana Weibel.«
»Ana Weibel«, notierte Franco. »Weibel? So heißt doch der Chef der Transalpin .«
Stettler nickte.
»Ach, so ist das. – Und wie erreiche ich Frau Weibel?«
»Ich habe ihre Handynummer.«
»Und?«
Stettler ratterte zehn Zahlen herunter.
»Wie war das?«
»War das für Sie zu schnell?«
Franco riss ein Stück von seinem Notizblock ab und schob es Stettler zu. Den Stift ließ er über den Tisch schlittern. Stettler fing ihn auf.
»Wie lange wird das dauern?« Stettler gab ihm den beschriebenen Papierfetzen zurück. »Bis Sie mit der Frau gesprochen haben?«
»Das weiß ich doch nicht. Kommt darauf an, wie gut sie zu erreichen ist.«
»Ich muss auf meine Baustelle zurück.«
»Um weitere Spuren zu verwischen?«
»Es geht hier nicht um mich. Es geht um den Novai-Tunnel. Ein Projekt von mehreren Milliarden Franken.«
»Nein, es geht um Mord. Und Sie bleiben hier, bis Ihr Alibi geklärt ist.«
Franco verließ den Verhörraum. Sein Magen knurrte. Wo Tresa bloß mit dem Nachtessen blieb? Sie war zum Bahnhof gefahren, um eine Pizza zu holen. Er musste unbedingt noch Madlaina anrufen, dass er später nach Hause kam.
Er wählte die Nummer, die ihm Stettler gegeben hatte. Es meldete sich bloß eine Frauenstimme, die sagte, dass der Teilnehmer zurzeit nicht erreichbar sei und er es später nochmals versuchen solle.
Hatte ihm Stettler eine falsche Nummer gegeben? Zutrauen würde er es ihm. Zuerst erfand er eine Unbekannte, die er angeblich in einem Restaurant in Repiano kennengelernt und mit der er den Abend und die Nacht verbracht hatte. Dabei kannte er nur ihren Vornamen. Ihre Handynummer wusste er nicht. Es im Restaurant zu versuchen war laut Stettler sinnlos, da Rosa – wie die Frau angeblich hieß – in den Urlaub gefahren war. Ein schöner Zufall.
Das hatte auch Tresa gesagt. Jedoch nicht zu der Frau, sondern zur Kette im Baubüro. Ob sie nur neidisch war, weil Franco sie gefunden hatte und nicht sie? Tresa fand es zu offensichtlich, zu gestellt, sie wollte Stettler wieder laufen lassen. Doch Franco hatte sich durchgesetzt und sie gebeten, eine Pizza zu holen. Und wenn er diesen Baufritzen bis Mitternacht verhören müsste. Er würde nicht aufgeben. Und nun war sein Einsatz durchaus lohnenswert. Die Frau vom Weibel. Tresa würde Augen machen.
Er nahm sein Handy und schrieb eine SMS an dieselbe Nummer, die er vorhin angerufen hatte: Bitte melden Sie sich unverzüglich bei der Polizei in Mazzaselva.
Die Bauherrschaft hatte am Abend um acht eine Versammlung in der Cantina Tschiervi einberufen. Ernst Weibel von der Transalpin stand vorne und informierte über Stettlers Verhaftung. Ein Raunen ging durch die Kantine, obwohl es für die meisten keine Neuigkeit war. Weibel erklärte, dass interimistisch ein anderer die Baustellenleitung übernehmen werde. Er sei von der Unschuld Stettlers überzeugt, es handle sich um einen integren Mann. Er sei sicher, dass Stettler schon bald wieder entlassen werde und seine Arbeit aufnehmen könne. Sie würden in Kürze wieder auf Kurs sein. Zum Schluss bedankte er sich bei den Arbeitern für ihren Einsatz.
Maria hatte sich schon mehrmals nach Julia umgesehen. Doch sie war nicht aufgetaucht. Sie verstand nicht, wieso Julia Stettler nun auf einmal in
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