Bergwasser: Ein Schweiz-Krimi (German Edition)
Gliedmaßen. Ihn schauderte.
Das zweite Zimmer sah bewohnter aus. An der Wand hing ein Mountainbike, auf dem Bett lagen ein Paar Hanteln. Es schien, als sei die Arbeit im Tunnel für gewisse Mineure nicht genug, sie mussten sich auch noch in ihrer Freizeit körperlich betätigen. Franco ging einmal pro Woche in den Sportverein. Das reichte vollkommen. Er schaute in den Schrank, zwischen die Wäsche, ins Necessaire. Man hätte genauso gut die berühmte Stecknadel im Heuhaufen suchen können.
Das dritte Zimmer gehörte einem Familienvater. Auf dem Fenstersims stand das Foto einer blonden Frau. Daneben eines mit zwei Mädchen, die in die Kamera lachten, die Ältere hatte eine Zahnlücke, das Blaue hinter den beiden Köpfen musste das Meer sein.
Auf dem Tisch lag ein Laptop. Er öffnete das Internetprogramm und schaute sich den Verlauf an. Es waren alles Hersteller von Fertighäusern. Der Mann war dabei, sein Eigenheim zu planen.
Nach etwa zwei Stunden war Franco mit der ersten Baracke durch, sein Magen knurrte. Er ging nach draußen, setzte sich auf die Treppe und packte ein Sandwich aus. Es dauerte nicht lange, bis Tresa sich zu ihm setzte und ihm Kaffee aus ihrer Thermoskanne anbot.
»Hast du was gefunden?«, fragte er mit vollem Mund.
»Nein, nichts. Außer ein paar Kristallen.«
»Immerhin! Wo hast du sie?«
»Ich habe sie dagelassen.«
»Was?!«
Tresa seufzte. »Wir haben hier einen Mordfall zu klären, und solange die uns keine Verstärkung schicken, können sie selber nach Steinen suchen. Mich interessiert das nicht.«
»Wenn es überhaupt Mord war. – Hast du übrigens die Frau heute Morgen auch gesehen?«, wechselte er das Thema.
»Die Ingenieurin? Klar. Die hat auswärts übernachtet.«
»Wie meinst du das?«, fragte Franco.
»Die hat sich in ihre Baracke geschlichen, und damit wir es nicht merken, hat sie einen Umweg über die Kantine gemacht.«
»Wieso weißt du das?«
»Hast du ihre Haare gesehen? Zuerst völlig zerzaust, und als sie aus der Kantine kam, einigermaßen geordnet. Und das T -Shirt hat sie auch verkehrt herum getragen.«
»Du meinst, sie ist verdächtig?« Er hielt mit Essen inne.
»Nur weil sie mit einem der Arbeiter was hat? Ich glaube nicht.« Tresa steckte eine Zigarette an.
Um achtzehn Uhr hatten sie alle Baracken durch. In der hinteren Reihe, dort, wo auch die Ingenieurin wohnte, war zum Glück nur die eine Baracke belegt.
Franco hatte genug davon, in fremden Socken zu wühlen, Betten zu wenden und im Staub herumzupulen.
Die Arbeiter hatten sich unterschiedlich auf ihre neue Wohnsituation eingelassen. Manche Zimmer wirkten wie Hotelzimmer, unpersönlich. Andere hatten sich häuslich eingerichtet, Bilder aufgehängt, Nippes aufgestellt. Hier kam er sich wie ein Eindringling vor.
Nun blieb noch das Baubüro, das sie gemeinsam in Angriff nehmen wollten.
Stettler war am Telefon, als Franco mit Tresa das Büro betrat.
Er nickte ihnen zu, machte aber keine Anstalten, das Telefonat zu beenden. Tresa betrachtete die Pläne, die an der Wand hingen. Franco trat von einem Bein aufs andere.
»Wir müssen Ihr Büro durchsuchen«, sagte Franco laut und begann, Schubladen zu öffnen. Tresa warf ihm einen bösen Blick zu.
»Nein, nur die Polizei«, sagte Stettler. »Ich rufe zurück.« Er knallte den Hörer auf. »Und was glauben Sie hier zu finden?«
»Zum Beispiel eine Kette mit einem Kreuz?« Franco ging zum Schreibtisch, nahm einen Bleistift, fischte damit eine Kette aus der Schublade und hielt sie Stettler vor die Nase.
»Was ist das?« Stettler lehnte sich in seinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme im Nacken.
»Sagen Sie’s mir.« Franco schwenkte die Kette vor Stettlers Gesicht hin und her.
»Keine Ahnung, die habe ich noch nie gesehen.« Stettler griff nach der Kette, doch Franco zog sie zurück.
Tresa nahm ein Plastiksäckchen aus ihrer Jacke, öffnete es und hielt es Franco hin. Er ließ die Kette hineingleiten.
»Sie müssen mitkommen«, sagte Franco.
»Mitkommen? Wohin?«
»Auf den Polizeiposten.«
»Und wer baut hier den Tunnel? Sie wohl nicht.«
»Sie haben doch sicher einen Stellvertreter.«
»Ja, aber der kann doch nicht einfach …«
»Schon mal was von delegieren gehört?«, fragte Franco.
»Ich kann hier nicht weg!«
»Doch, das können Sie.« Franco griff nach den Handschellen, die hinten am Gürtel befestigt waren.
»Okay, das ist nicht nötig.«
»Also dann los.«
Tresa war bereits an der Tür.
»Nach Ihnen, bitte«, sagte
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