Berlin - ein Heimatbuch
Comedypapst mir so lang wie breit seine Lesefrüchte über kreative Komikarbeit referiert hat, stehen wir vor dem Eingang des Berliner Gruselkabinetts in der Schöneberger Straße 23A. Das veranlasst den Monologexperten endlich das Thema zu wechseln.
»Die haben den Bunker hier 1997 komplett restauriert, Murat. Wasseranlage, Sanitär, Heizung, Elektroinstallation, Brandmelder, Rollstuhlrampen, Türen eingebaut. 3.650 Quadratmeter Fläche auf fünf Etagen, von denen aber nur drei genutzt werden. Und auf jeder dieser Etagen gibt es je eine Ausstellung.«
»Verstehe. Und was sind das für Ausstellungen?«
»Sei froh, dass ich das alles nachgelesen habe.« Tjaha, deine Amnesie wäre meine Amnestie. Denke ich, sage ich aus Höflichkeit aber nicht.
»Im Untergeschoss, dem Bunkerkeller, befindet sich ein weltweit einzigartiges Luftschutzbunkermuseum. Dort kann man die Bunkerpläne von 1943 einsehen, Berichte von Zeitzeugen anhören und Luftaufnahmen der Alliierten anschauen. Im Erdgeschoss werden dagegen medizinhistorische Szenen nachgestellt. Das hört sich ziemlich spektakulär an: mittelalterliche Beinamputationen, Lendenoperationen, bei denen man die Patienten an den Füßen aufhing. Und mein absoluter Favorit: ein Scheintodsarg mit Untoten.«
Ich muss lachen.
»Untot bin ich selber! Ich dachte, man soll sich in einem Gruselkabinett gruseln?«
Karl schaut mich verständnislos an. »Na, du bist ja hartgesotten. Ich finde kopfüber aufgehängte Lendenoperierte irre gruselig. Aber das eigentliche Gruselkabinett liegt in der Tat im Obergeschoss. Gruselaction mit jeder Menge Spezialeffekten. Und, halt dich fest: mit dem einzigen hauptberuflichen Gespenst Deutschlands!«
»Was?«
»Ja, echt wahr. Und die haben wohl Nachwuchssorgen. Wäre übrigens ein Fall für die Gleichstellungsbeauftragte: Frauen werden nämlich nicht genommen.«
Ach ja, die guten alten Lebensweisheiten. Sie haben ja doch ihre Berechtigung. So wie in diesem Moment für mich: Immer wenn du glaubst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her. Bei unserem gestrigen Kuchenessen im Volkspark Friedrichshain hatte sich zu meinem Schrecken nämlich herausgestellt, dass die Geschichte mit dem Sabbatical erlogen und erstunken war. In Wirklichkeit war unserem Gast ganz schnöde gekündigt worden – aus Gründen, die aus ihm nicht herauszubekommen waren. Nun erhoffte er sich von der Metropole Berlin neue berufliche Inspirationen. Wer hätte gedacht, dass er so schnell fündig werden könnte ...
Der Anhalter Bahnhof
Der Anhalter Bahnhof ist ein ehemaliger Fernbahnhof am Askanischen Platz in Kreuzberg. Eingeweiht am 1. Juli 1841 diente er der Sächsischen Eisenbahn als wichtigster Kopfbahnhof für die Bahnverbindungen nach Österreich-Ungarn, Italien und Frankreich. Der Anhalter Bahnhof, deshalb im Volksmund auch kurz »Anhalter« oder »Das Tor zum Süden« genannt, war bis zu seiner kriegsbedingten Zerstörung im Jahr 1945 ein wirtschaftsstarker Handelsplatz. Entworfen von dem Berliner Architekten Franz Schwechten, erreichte die Bahnhofshalle eine Höhe von 34 Metern und eine Binderlänge von 62 Metern – damals die größte Spannweite auf dem Kontinent.
Für abenteuerlustige Reisende war der Anhalter Bahnhof auch Ausgangspunkt für Afrikareisen, denn die Züge von Berlin nach Triest und nach Neapel hatten einen Schiffsanschluss nach Alexandria, Ägypten. Von dort konnte man mit dem Zug weiter nach Khartum und Kairo. Ab 1928 hatte der Anhalter ein weiteres Highlight zu bieten, nämlich den längsten Hoteltunnel der Welt. 80 Meter lang führte er vom Hotel Excelsior unterhalb der Königgrätzer Straße (heute: Stresemannstraße) direkt in die Bahnhofshalle. Die heute noch stehende Portalruine war Teil der repräsentativen Fassade und Durchgang zur ehemaligen Eingangshalle.
Im alten Luftschutzbunker des Anhalter Bahnhofs befindet sich heute das
Berliner Gruselkabinett
Schöneberger Straße 23a, 10963 Berlin-Kreuzberg, www.gruselkabinett-berlin.de
Berliner Bunkerwelten
Mit Beginn des 20. Jahrhunderts hat sich im Untergrund Berlins eine eigene Landschaft von Tunneln und Schutzräumen entwickelt. 1945 zählte man in Deutschlands Hauptstadt fast 1.000 verschiedene Bunker, von kleinen Ein-Mann-Räumen bis hin zu großen Einrichtungen mit Kapazitäten für mehrere Tausend Menschen und eigenen Autoeinfahrten.
Seit 1999 kümmert sich mit dem Berliner Unterwelten e. V. ein eigener Verein um die Erkundung und Instandhaltung der Unterstände.
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