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Berlin Fidschitown (German Edition)

Berlin Fidschitown (German Edition)

Titel: Berlin Fidschitown (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D B Blettenberg
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ins Eis. Noch bevor ihm die darauf folgende Todesstille bewusst wurde, hatte er sich aufgegeben.
    Dann bemerkte er den feinen Riss im stabilen Eis und glaubte an ein Weiterleben. Das Schlimmste war vorbei. Der frische Riss verlief direkt unter ihm und, wie er ahnte, über den ganzen See. Die milchige Trennfuge, die das Eis wie ein Band aus Gaze durchzog, zeigte ihm, dass die Decke bestimmt einen Meter dick war, und da unten, wo sie Flüssigkeit berührte, konnte er etwas erkennen. Etwas, das wie ein Embryo aussah und ihn mit bleicher Fratze anzugrinsen schien. Alles war unscharf – und doch seltsam klar. Der Frost hatte das Eis zum Bersten gebracht und ihm etwas gezeigt. Etwas, das den Verdacht bestätigte, der ihn an diesen Ort getrieben hatte.
    Mühsam kam er wieder auf die Beine und folgte der Doppelspur, die ihn mehrere hundert Meter weit über den See und dann zum Ufer führte, direkt zu einem Bootsschuppen, dessen verwitterte Holzwände Moos angesetzt hatten. Er sprang auf den Steg und sah die rote Strickmütze, die vor der Tür im Schnee lag.
    Er erkannte die Frau an der Kleidung – die Mütze in seinen Händen, die Moonboots, die Jeans und der billige Anorak, den sie trug. Sie lag unter den aufgebockten Ruderbooten auf dem Boden, das blauschwarze Haar über der Schläfe blutverklebt, den Hals von Würgemalen bedeckt, Hose, Strumpfhose und Baumwollschlüpfer in den Kniekehlen. Die Haut von Bauch und Oberschenkeln schimmerte makellos und unversehrt. Er ging neben ihr in die Hocke und musterte die Schamhaare, in denen Sperma klebte.
    Bevor er ihren Puls prüfen konnte, stöhnte die Frau leise und hob mühsam den Kopf. Sie öffnete die Augen und sah ihn an. Dann schloss sie die Augen wieder und flüsterte kaum hörbar: „Lac Long Quan ...?“ Die Finger ihrer rechten Hand gaben eine winzige Schildkröte aus Jade frei, und der Hauch eines Lächelns gefror ihr auf den Lippen. Der Kopf sackte weg und schlug hart auf den Boden.
    Lac Long Quan?
    Farang nahm die Schildkröte an sich und durchsuchte die Taschen der Toten, fand jedoch nichts, was Aufschluss über ihre Identität gab. Er erhob sich und ging zur Tür. Bevor er hinausging, drehte er sich noch einmal um und warf einen letzten Blick auf die Leiche. Für einen Moment dachte er daran, ihr den Anorak auszuziehen und damit ihre Blöße zu bedecken. Dann erinnerte er sich an Romys spöttische Bemerkung. Sie hatte Recht. Er war kein Sozialarbeiter.
    Da war noch etwas.
    Erst jetzt, aus diesem Blickwinkel, konnte er es sehen. Es war weiß. Etwas Winziges ragte zwischen den verkrampften Fingern der rechten Hand hervor. Aus der Nähe betrachtet, entpuppte es sich als ein Stückchen Papier. Mit Handschuhen war es schwer zu fassen, aber beim zweiten Versuch gelang es ihm, den Fetzen vorsichtig an sich zu bringen. Behutsam glättete er das zusammengeknüllte Papier. Der ausgefransten Schmalseite nach, stammte das Blatt aus einem kleinen Spiralblock. Es war feucht und die Kugelschreibertinte war zerlaufen. Trotzdem war die Notiz noch zu entziffern.

    Auch das sagte ihm nicht viel. Er faltete das Stück Papier zusammen und steckte es ein.
    Vor dem Schuppen sah er sich sichernd um. Dann folgte er den Fußspuren des Täters. Sie führten um das Gebäude herum zum Uferweg, wo sie sich bald zwischen anderen Spuren verloren. Die ersten unentwegten Jogger waren bereits unterwegs.
    Zwei Hunde, die einem Frühaufsteher vorauseilten, bellten Farang freudig entgegen. Er lächelte, grüßte und beeilte sich weiterzukommen. Der Schäferhund machte einen lahmen Eindruck, aber der Terrier war hellwach und energisch, und oft waren es die kleinen Hunde, die mutig herumstöberten und dabei die richtige Witterung in die Nase bekamen.

52
    War es noch Nacht oder schon wieder Tag?
    Gustav Torn wusste es nicht. Es machte keinen großen Unterschied, ob er die Augen geschlossen oder offen hielt. Er lag auf dem Rücken und starrte ins Dunkel. Waren das aufgemalte Lampenfeld und die Richtungspfeile an der Bunkerdecke und der Orientierungsstreifen über dem Ausgang noch immer schwach zu erkennen, oder hatten sich die phosphorisierenden Markierungen vor dem Einschlafen so tief in seine Erinnerung eingebrannt, dass er sich das schwache Glimmen nur einbildete? Die Leuchtfarbe war angeblich sechzig Jahre alt, aber nach dem zu Bett gehen und dem Löschen des elektrischen Lichts war sie noch lange aktiv gewesen. Er griff nach der Stablampe, die in Reichweite neben seinem Lager stand, und strahlte die

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