Berlin Gothic 4: Der Versteckte Wille
Sondern ganz konkret, ganz faktisch, ganz einfach: Was er MACHT - nicht, was er denkt .“
„Wer?“ Malte schien den Faden verloren zu haben.
„Na, Felix natürlich!“ Max stieß sich von der Wand ab, an der er - Glas in der Hand - gelehnt hatte. „Wer denn sonst!“
Malte zuckte mit der Schulter. „Das lässt sich bestimmt nicht in ein, zwei Sätzen zusammenfassen.“ Er sah, eine Spur verunsichert, zu Henning, der, fast zwei Köpfe größer, neben ihm stand.
Max deutete mit seinem Glas auf Till, der sich ebenfalls in der Runde aufhielt. „Pass auf Malte, es ist wirklich ganz einfach. Auf der Herfahrt fragt Till mich, was ihr vorhabt. Ich will also schon anfangen zu erzählen, was ich weiß, aber dann merke ich: So klar kann ich das gar nicht sagen. Also denke ich: Wunderbar, wir sind gleich da, dann können wir euch ja mal fragen.“
„Was genau willst du denn wissen?“, schaltete sich jetzt Henning ein.
„Geht das wieder von vorn los“, polterte Max, eine Spur zu laut, zu aggressiv, wie Till fand, zugleich aber doch so, dass man eigentlich nicht anders konnte, als mit einer direkten Antwort zu reagieren - es sei denn, man hatte nichts dagegen, als der Dumme dazustehen. „Woran Felix mit euch in der Firma arbeitet - ist das so schwer?“
Henning stellte das Glas, das er gehalten hatte, auf eine Anrichte hinter ihm. Sie standen in dem geräumigen Wohnzimmer von Irinas Wohnung, durch dessen zwölf oder vierzehn Meter breite Glasfront man auf eine Terrasse hinaus blickte. Dort lehnten weitere Gäste an dem Geländer, das Till bereits von unten gesehen hatte.
„Ich will das jetzt nicht unnötig in die Länge ziehen“, sagte Henning und warf Till einen Blick zu, konzentrierte sich dann aber wieder auf Max, „wichtig scheint mir nur, die größten Missverständnisse zu vermeiden. Und am weitesten verbreitet ist das Missverständnis, dass wir alle sozusagen eine Art festgelegtes System von Regeln ins Hirn gebrannt bekommen hätten … oder etwas in der Art.“ Er kicherte und zwar so ansteckend, dass auch Till grinsen musste. „In Wahrheit ist es vielmehr so, dass Felix eine Reihe von Leuten um sich geschart hat, die sich - jeder wohlgemerkt auf seine ganz eigene Art und Weise - alle mit einer ganz bestimmten Frage beschäftigen. Und zwar nicht nur theoretisch, sondern ganz konkret, ganz praktisch.“
„Mit der Frage der Freiheit“, platzte Max heraus und sah zu Till.
„Mit der Frage der … der Freiheit, richtig“, fuhr Henning fort, „einer Frage, die seit Ewigkeiten hin und her gewälzt wird.“
Mit der Frage der Freiheit. Unwillkürlich musste Till an Bentheim denken, an den heißen Sommernachmittag vor zehn Jahren, als er mit Max‘ Vater durch die Tunnel unter der Stadt geirrt war. Als Bentheim wie von Sinnen auf ihn eingeredet hatte, kurz bevor er ihn …
Till setzte sein Glas an die Lippen und trank. Nicht jetzt! Er kannte das schon. Manchmal passierte es monatelang nicht, dann wieder zehn, zwanzig, fünfhundert Mal an einem einzigen Tag: Dass er an ihn denken musste, an Bentheim, an die Schreie, die Till nachgeflogen waren, während er durch die Tunnel zurück an die Oberfläche gerannt war.
„Deshalb sage ich auch, dass jeder ganz unterschiedliche Dinge mit dieser Frage verbindet“, hörte er Henning weitersprechen. „Wenn man sich eine Zeit lang damit beschäftigt, also mit dem, was ich jetzt die ‚Frage der Freiheit‘ genannt habe, stellt man fest, dass sie etwas ist, das gleichsam im Herzen unseres Weltverständnisses liegt - im Herzen unseres Selbstbildes, unserer Vorstellung von Gesellschaft, von Gut und Böse, von Verantwortung und Schuld, also auch von unserer Rechtsauffassung und so weiter und so weiter … Dass also, je nachdem, wie wir diese Frage beantworten, sich daraus extrem weitreichende Implikationen für unser Weltbild ergeben - im Grunde genommen für ALLE wichtigen Auffassungen und Meinungen … Implikationen und Konsequenzen, die sich gar nicht einmal so einfach oder auf Anhieb durchschauen lassen.“
„Ahhh“, Max zog den Laut in die Länge.
„Soll ich weiter darauf herumreiten oder hast du genug?“ Henning sah ihn an, freundlich aber doch auch ein wenig reserviert.
„Weiter, Mann, weiter.“ Max langte nach der Weinflasche, die zwischen seinen Beinen auf dem Boden stand, und schenkte sich sein Glas wieder voll.
Henning sah zu Till. „Vielleicht sollten wir uns mal einen Nachmittag lang bei Felix treffen, wenn Sie das interessiert.“
Er ist
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