Berlin Gothic 5: Nachts Bei Max
Waffe.
Hennings Stirn platzt auf. Der Kopf wird gegen die Stütze hinter ihm geschleudert, seine Hände bleiben fest um das Steuerrad geklammert.
Dann liegt Butz auf dem Boden.
Die Kugel aus Bettys kleiner Pistole dringt über ihm in die Garagenwand. Butz hält seine Waffe fest umschlossen, streckt sie von sich bis zwischen die Reifen des Wagens. Unter dem Boden der Karosserie hindurch kann er Bettys Hausschuhe sehen. Sie steht noch immer in der Tür, die von der Garage direkt ins Haus führt. Rührt sich nicht. Schießt nicht mehr.
Der Motor des Wagens tuckert.
Henning gibt nicht mehr Gas.
Vor sich sieht Butz, wie Hennings Kinn nach oben getippt ist, als seine Stirn von der Kugel getroffen wurde. Ich musste es tun, rast es Butz durch den Schädel. „Ich musste es tun, bevor er mich mit seinem Wagen an der Garagenwand aufgespießt hätte.“ Er flüstert, damit Betty ihn nicht hört und beobachtet, wie ihre Füße die Stufe von der Tür hinunter in die Garage treten. Zieht vorsichtig seine Waffe über den Boden und richtet den Lauf nach ihren Füßen aus. Er könnte abdrücken. Hat sie keine Angst?
Bettys Hausschuhe nähern sich dem Fahrzeug, bleiben an Hennings Fahrertür stehen. Außer dem Tuckern des Motors ist nichts zu hören.
Vorsichtig zieht Butz die Beine an und beginnt, sich aufzurichten. Er erträgt es nicht länger, am Boden zu liegen. Und doch ist ihm klar: Wenn Betty auf ihn zielt, kann sie ihm mitten ins Gesicht schießen, kaum dass sein Kopf über der Kühlerhaube erschienen sein wird.
Butz‘ Haarspitzen glühen, während er sich langsam nach oben bewegt. Das rote Blech der Kühlerhaube, der Geruch von Benzin und Öl …
Bettys Augen sind direkt auf ihn gerichtet, als sich ihre Blicke begegnen. Aber ihre Arme hängen schlaff herunter und es klackert, als die Pistole ihrer Hand entgleitet - auf dem Boden aufschlägt.
Hennings Kopf ist auf die Seite gesunken, das Blut überströmt wie roter Saft sein Gesicht. Seine Augen sind geöffnet und auf einen Punkt zwischen seinem Sitz und der Handbremse gerichtet.
‚Ich musste ihn erschießen, Betty … du … DU warst es, die mich dazu gezwungen hat.‘
Aber das sagt Butz nicht. Er legt seine eigene Waffe auf die Kühlerhaube.
Wie lange kennt er sie schon? Betty muss erst sechs oder acht Jahre alt gewesen sein, als er sie zum ersten Mal gesehen hat - damals, vor zwölf Jahren, als er in der Vermisstensache Xaver Bentheim das Haus ihrer Familie zum ersten Mal betreten hat.
Als er auch ihrer Schwester zum ersten Mal begegnet ist. Claire.
Butz fühlt sich im Inneren taub, stumpf und hart. Von einer Härte, die vieles von nun an unmöglich machen wird und alles Spielerische, das noch in ihm geschlummert haben mochte, mit einem Schlag verdrängt zu haben scheint.
Er hat auf Henning geschossen - ihn erschossen.
Gut fünfzehn Minuten sind seitdem vergangen und noch immer befindet er sich auf Hennings Grundstück.
Nur aus der Garage ist Butz inzwischen herausgetreten - zusammen mit Betty.
Sie hockt auf einer Terrakottavase, die im Vorgarten an der Zufahrt zur Garage steht. Ihre Haare haben sich gelöst, sie hatte sich noch nicht geschminkt, als sie zu ihnen in die Garage gekommen ist. Ihre Augen sehen ihn offen, geradezu hilflos an. Mit einer winzigen Bewegung seines Fingers hat er Henning von ihrer Seite gerissen. Butz kann ihr ansehen, dass Betty bis an ihr Lebensende mit dem, was vor wenigen Minuten erst geschehen ist, nicht wirklich fertig werden wird.
Sie stützt die Ellbogen auf ihre Knie, vergräbt ihr Gesicht in den Händen, scheint mit der Aufgabe, ihre Gedanken zu ordnen, überfordert zu sein.
Butz‘ Blick wandert über sie hinweg zur Garage, deren Tor wie ein aufgesperrter Rachen offen steht. Über den Kofferraum des Cabrios hinweg kann er den Fahrersitz sehen, darin Hennings Kopf, der zur Seite abgeknickt ist.
Du hättest ihr die Waffe aus der Hand schießen müssen, rumort es in ihm, dann hättest du Henning vielleicht nicht zu töten brauchen.
Aber auf Bettys Hand schießen? Zu zart, zu fein kommen ihr die Glieder von Claires Schwester vor, als dass das wirklich in Frage gekommen wäre.
„Henning hat mir davon erzählt“, hört er sie sagen, „dass ihr von einer Mordserie ausgeht.“
Butz starrt auf sie herunter. Ja, das stimmt, er hat Henning davon einmal berichtet …
„Aber es ist überall, Butz - es ist nicht nur einer.“ Sie hat ihr Gesicht wieder ihm zugewandt. „Du hättest Henning nicht töten
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