Berlin Wolfsburg (German Edition)
sagte Kuhl nichts. »Karsten Vogt hat vor einigen Monaten im
Fall einer besonders miesen Vergewaltigung, an der mehrere Männer beteiligt
waren, ermittelt«, hob sie in sachlichem Ton an. »Die junge Frau war mit einem
Muslimen verlobt, der gezwungen wurde, bei der Tat zuzusehen –«
»Lassen Sie mich raten – der Fall konnte nicht aufgeklärt werden«,
fiel Johanna der Staatsanwältin ins Wort.
»So ist es. Kaum verwertbare Spuren, keine Zeugen und so weiter und
so fort. Was folgte, war eine rasche Einstellung. Außerdem hat bei Vogt das
Geld ziemlich locker gesessen. Hatten Sie dazu nicht etwas Ähnliches erwähnt?«
»Stimmt – die Tochter beschreibt ihren Vater als bemerkenswert
großzügig und erwähnt, dass er etwas von einer Sonderzulage erzählt hätte, an
der er seine einzige Tochter nur allzu gern teilhaben lassen wolle …«
Einen Moment herrschte Schweigen. Johanna machte sich Stichpunkte.
Ihr Puls hatte sich deutlich beschleunigt, und das lag nicht an dem starken
Kaffee.
»So weit zunächst dazu«, bemerkte Kuhl dann. »Konnten Sie bereits
neue Erkenntnisse gewinnen, was Karim Celik angeht?«
»Und ob. Kleidungsstücke mit höchstwahrscheinlich entscheidendem
Spurenmaterial sind auf unerklärliche Weise verschwunden, was in Ansdorfs
Abschlussbericht aber mit keiner Silbe Erwähnung findet«, berichtete Johanna.
»Der Kollege hatte sich persönlich ins Krankenhaus bemüht, um die Sachen
abzuholen und nach Hannover weiterzuleiten. Als Celik sich später danach
erkundigt, macht Ansdorf richtig Stunk, und zwar im Institut. Er schreibt sogar
ganz artig und vorschriftsmäßig einen Aktenvermerk, der jedoch bis zum jüngsten
Tag in einem Papphefter vor sich hin gegammelt hätte, wenn die Sache jetzt
nicht noch mal Gegenstand von Ermittlungen geworden wäre.«
»Wenn ich Ihren Tonfall richtig zu deuten verstehe und um es auf den
Punkt zu bringen, Kommissarin Krass: Sie nehmen ihm das nicht ab?«
»Nein, tue ich nicht. Ganz und gar nicht«, erwiderte Johanna. »Da
ist richtig was faul. Das behaupte ich, auch wenn meine Einschätzung etwas
vorschnell klingen mag …«
»Ein Versehen?«
»Nein. Dann hätte er es im Abschlussbericht für die
Staatsanwaltschaft erwähnen müssen.«
»Also Absicht. Aber warum schreibt er überhaupt einen Vermerk?«
»Sicherheitshalber, denke ich. Er konnte nicht wissen, wie eifrig
Celik nachfragen und damit unter Umständen auch noch mal einen anderen Kollegen
beschäftigen würde«, mutmaßte Johanna. »Und vielleicht hatte er später vor,
wenn kein Hahn mehr nach irgendwelchen Kleidungsstücken kräht, die Akte zu
bereinigen und dem Abschlussbericht anzupassen.«
»Ganz schön perfide.«
»Allerdings. Dazu passen auch seine alles andere als eifrigen oder
umfangreichen Ermittlungen sowie die abwiegelnde Einschätzung, dass eine
Familienfehde oder Ähnliches vorliegen könnte – Celik verwahrt sich übrigens
ganz entschieden dagegen«, betonte Johanna. »Er hat keinen blassen Schimmer,
was die Männer von ihm wollten, und ich glaube ihm. Er sprach von unbändigem
Hass, der ihm entgegenschlug.«
»Unbändiger Hass«, wiederholte Kuhl. »Welches Motiv steckt dahinter?
Blinder, zerstörerischer Rassismus? Ist es das?«
»Gute Frage. Ich bin noch nicht mal sicher, ob ich das so genau
wissen will«, entgegnete Johanna leise. »Fest steht im Moment, dass die Opfer
der bislang näher beleuchteten Fälle einen muslimischen Hintergrund haben und
jeweils keine Aufklärung der Straftaten erfolgte, sondern eine zügige
Einstellung. Das kann kein Zufall sein. Ansdorf hat den Fall Celik schlichtweg
verschleppt und manipuliert, und bei Vogts und Huhlmanns Ermittlungen klingt
Ähnliches an, selbst wenn wir noch keine Einzelheiten zu ihrer Arbeitsweise
vorliegen haben. Wundern würden mich entsprechende Übereinstimmungen jedenfalls
nicht.«
Annegret Kuhl atmete deutlich hörbar aus. »Du liebe Güte … Sie
wissen schon, was das bedeutet?«
»Haben Sie einen anderen Vorschlag, der sich besser anhört?«
»Leider nicht.«
»Ich bin gespannt, was die Berliner Recherchen ergeben«, fuhr die
Kommissarin fort. Sie goss sich eine weitere Tasse Kaffee ein, während sie
Kuhls bedrücktem Schweigen lauschte.
»Wenn Ihre Befürchtungen zutreffen, die ich durchaus für realistisch
halte, müssen wir auch in Erwägung ziehen, dass die Gewalttaten gegen
muslimische Mitbürger von einem Täterkreis ausgingen«, meinte Annegret Kuhl
schließlich.
»Ja, das sehe ich auch so. Ein
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