Berlin Wolfsburg (German Edition)
Staatsanwalts vergewaltigt
worden. Sie hat sich wenig später das Leben genommen. Ich schätze, dass der
Polizist, der seinerzeit bei der Tatortsicherung manipuliert hat, gar nicht
wusste, wer die Frau war – aber das nur nebenbei. Eine solche Tat hat
erhebliche psychologische Auswirkungen auf die muslimische Gemeinde, die sich
verfolgt und von den Behörden nicht ausreichend beschützt fühlt. Sie hat auch
Auswirkungen auf die Menschen, die das Miteinander suchen, die Integration, den
Austausch der Kulturen, den Frieden. Die Atmosphäre wird nach und nach immer
mehr vergiftet, ohne dass es eine Chance gibt, diesen Prozess aufzuhalten.«
Mareni stand auf, trat ans Fenster und sah hinaus. »Das klingt
scheußlich. Ich hoffe, dass Sie sich irren.«
»Ich auch.«
Er drehte sich zu ihr um und steckte die Hände in die Hosentaschen.
»Solche Aktionen müssen finanziert werden. Und der logistische Aufwand, den wir
vermuten, braucht verlässliche Leute, ein dichtes Netzwerk, womöglich sogar ins
Ausland – es gibt sicher eine Menge einflussreicher Leute, die nichts dagegen
haben, wenn Druck auf die muslimischen Gemeinden ausgeübt wird, aber diese
Kontakte müssen erst mal hergestellt werden.«
Johanna fasste sich an die Stirn. »Der Drogentrip«, fiel ihr
plötzlich ein. »Vielleicht ist das die Geldquelle.«
Mareni setzte sich wieder zu ihr. »Wie gehen wir vor, solange wir
viele Vermutungen, Ideen und Verdachtsmomente haben, aber keine handfesten
Beweise?«
Johanna stützte das Kinn auf die Hand. »Wir setzen bei dem an, was
gesichert scheint: Holger Bihl, seine Verbindung zu Stefan Muth und die klare
Identifizierung durch Karim Celik. Wir konfrontieren ihn damit.«
»Aber …«
»Ohne vorerst zu erkennen zu geben, dass wir längst einen
Zusammenhang mit anderen Straftaten und dahinter ein übergeordnetes Ziel
vermuten«, fuhr Johanna fort. »Wir stellen uns ein bisschen dumm, solange wir
keine Einzelheiten wissen beziehungsweise beweisen können, und gewinnen Zeit,
um uns zum Beispiel mit der Frage zu beschäftigen, nach welchen Kriterien die
Polizisten ausgewählt wurden. Wer hat sie wie angesprochen? Wurde Druck
ausgeübt? Was hatte Huhlmann mit Muth zu besprechen, den sie einen Tag nach
Ansdorfs Tod in Berlin anrief? Wussten die Polizisten voneinander? Und so
weiter und so fort … Aber darüber hinaus ist eine Wiederaufnahme des
Celik-Falls ohnehin nötig. Ich denke, dass wir für aufwendigere Aktionen nun
auch Unterstützung von Reinders bekommen.«
Mareni überlegte einen Moment und nickte dann. »Gut, das kläre ich
gleich mit ihm, aber bei all diesen Verstrickungen bleibt noch eine Frage
völlig offen: Warum mussten die Polizisten sterben? Haben sie Fehler gemacht?«
Johanna zog die Brauen hoch. »Das haben sie in jedem Fall.«
Es ging auf den Abend zu, als Johanna nach Alt-Wolfsburg
zurückkehrte, während Luca Mareni noch Vorbereitungen für den nächsten Tag traf
und seinen Vorgesetzten briefte. So hatte er es ausgedrückt, und Johanna hatte
sich ein Feixen kaum verkneifen können. Jede Wette, dass Reinders sich von den
Ereignissen überrollt fühlte, aber das konnte sie ihm nicht ersparen.
Sie aß eine Kleinigkeit und setzte sich dazu diesmal ins Restaurant,
um die Atmosphäre des schönen alten Fachwerkhauses auf sich wirken und dabei
die Geschehnisse des Tages sacken zu lassen. Letzteres fiel ihr schwer, zumal
sie fortwährend das Gefühl hatte, wichtige Aspekte zu übersehen oder falsch zu
gewichten. Mit einem zweiten Glas Wein ging sie schließlich auf ihr Zimmer.
Ein Gedanke, der bereits den ganzen Tag über immer wieder in ihr
rumort hatte, ohne sich gegen all die anderen behaupten zu können, durchfuhr
sie plötzlich mit aller Schärfe. Wie hatte Kommissar Jörg Rauth die
Freundschaft zu Scheidner mit seiner Käuflichkeit vereinbart? Wie hatte er
seine Hilfsdienste für eine hassgetriebene Gruppe – sofern Johanna mit ihrer
Einschätzung richtig lag –, die die Frau des Staatsanwalts auf dem Gewissen
hatte, die zugleich auch eine Freundin seiner Frau und der Familie gewesen war,
vor sich selbst gerechtfertigt? War seine Lage so aussichtslos gewesen, dass er
schließlich gar keine andere Wahl gesehen hatte, als aus dem Leben zu scheiden?
Wenn Johanna sich recht erinnerte, hatte Scheidner während ihres Telefonats
bemerkt, dass die Freundschaft sporadischer geworden war. Hatte Rauth sich aus
Angst und Scham oder aus ganz anderen Gründen distanziert?
Der Suizid mit der Dienstwaffe
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