Berlin Wolfsburg (German Edition)
letzten Jahres gerade noch
rechtzeitige Warnung vor einem Einsatz des Drogendezernates gewesen, der Stefan
gewaltigen Ärger eingebracht hätte, wenn Jörg nicht zur Stelle gewesen wäre, um
das Schlimmste zu verhindern. Wo die undichte Stelle im Drogengeschäft gewesen
war, mit dem sie das Unternehmen Riege zu einem Teil finanzierten, erfuhr
Stefan nicht, aber Volker hatte sich um das Problem gekümmert.
Rauths und Langes Hauptaufgabe war es gewesen, bei Straftaten gegen
Muslime Spuren zu beseitigen oder zu manipulieren und jeglichen rassistischen
Aspekt herunterzuspielen; in Wolfsburg und Braunschweig übernahmen einige Zeit
später Günther Ansdorf, Ulrike Huhlmann und Staatsanwältin Hannelore Maurer
diese Aufgabe, wobei Letztere die zentrale Figur war, die ihren Job sehr gut
machte, nachdem sie kapiert hatte, dass ihr Sohn sich in echter Gefahr befand.
Stefan hatte damals jemanden in die Einrichtung geschickt, der ein wenig an dem
Beatmungsgerät herumgefummelt hatte. Viel hätte nicht gefehlt, und die Maurer
wäre ihr behindertes Kind los gewesen. Eigentlich nicht die schlechteste
Lösung. Aber nach dieser überzeugenden Einlage hatte die Frau Gewehr bei Fuß
gestanden.
Gut geschulte Mitglieder der Riege zettelten seit gut zwei Jahren
immer wieder gezielt Prügeleien in Lokalen, Diskotheken und auf Sportplätzen
an, ohne dass der antimuslimische Aspekt für Außenstehende eine Rolle spielte.
Und äußerte doch mal jemand einen Verdacht, waren die geschmierten Beamten zur
Stelle. Sie überfielen aktiv in ihren Gemeinden tätige Muslime, entführten,
schlugen und folterten sie. Mord war nicht beabsichtigt, wurde aber billigend
in Kauf genommen. Manche Opfer verschwanden spurlos, Autos wurden demoliert,
Hauswände beschmiert, und auch Vergewaltigungen gehörten zum Instrumentarium.
Stefan war bislang zweimal bei Gewalttaten dabei gewesen – um sich einen
Einblick in die Vorgehensweise seiner Leute zu verschaffen –, doch insgeheim
war er froh, dass Volker in der Regel dafür votierte, als Organisator und
Führungspersönlichkeit im Hintergrund zu bleiben und so wenig wie möglich in
Erscheinung zu treten.
Die Vorbereitungen der Einsätze übten eine seltsame Faszination auf
ihn aus, obwohl ihm bewusst war, dass es natürlich keine sehr tapfere Tat war,
einen einzelnen Mann zu dritt krankenhausreif zu schlagen. Bei der
Vergewaltigung der Lehrerin vor gut einem Jahr war zweierlei schiefgegangen:
Stefan hatte nicht gewusst, dass sie mit einem Staatsanwalt verheiratet war,
womit er, ohne sich darüber im Klaren zu sein, ein deutlich größeres Risiko
eingegangen war. Zudem hatte er eigentlich nur zusehen wollen, sich dann aber
doch hinreißen lassen, die Frau zu erniedrigen. Der machtvolle Rausch, der ihn
danach noch tage- und nächtelang beschäftigt hatte, war erschreckend intensiv
gewesen und hatte ein dunkles Feuer in ihm entzündet.
Es war Lange zu verdanken, dass die Ermittlungen keine wesentlichen
Erkenntnisse zutage gefördert hatten und bald eingestellt wurden. Dafür hatte
der Beamte seinen Kopf hinhalten müssen, was durchaus hätte schiefgehen können.
Stefan hatte sich entschieden, seinem Vater nichts von den Einzelheiten dieses
brisanten Einsatzes zu erzählen. Eine vergleichbare Aktion in Peine war im
Frühjahr dieses Jahres glücklicherweise wesentlich unauffälliger und
professioneller über die Bühne gegangen …
Inzwischen war viel passiert. Die Lage war so undurchsichtig, dass
Volker seit Monaten absolute Zurückhaltung, um nicht zu sagen Rückzug anordnete
und sogar seine sogenannten Aufklärungsvideos wieder aus dem Verkehr gezogen
hatte. Die Suizide waren unheimlich und natürlich nur vorgetäuscht. Dahinter
steckte ein perfider Plan, dessen war sich Stefan ganz sicher, und zum ersten
Mal, seit er der Riege angehörte, spürte er Unsicherheit. Ein kühles Befremden.
Trauer um die toten Mitstreiter. Eine klamme Furcht, weil er nicht verstand,
was geschehen war. Hatten sie den Gegner unterschätzt? Und warum tauchte er
gerade jetzt auf und agierte so grausam und kompromisslos? Welche Rolle spielte
Maurer? Warum lebte sie noch, während alle anderen Beamten aus Berlin und Niedersachsen
tot waren? Er war sicher, dass sein Vater genau diese Fragen auch stellen
würde.
Sie hatten Göttingen als Treffpunkt vereinbart. Stefan brach am
späten Nachmittag auf und fuhr erst auf die Autobahn, als er sicher war, dass
ihm niemand folgte. Die nagende Unruhe, die ihm seit Wochen den Schlaf
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