Berlin Wolfsburg (German Edition)
falsch
eingeschätzt. Oder aber ich liege richtig, und sie ist in Gefahr.«
Und/oder sie gehörte auch zu dem miesen Trupp, und die weitere
Vorgehensweise musste sehr gut überlegt sein. Keine Frage, dass die
Staatsanwältin auch diesen Gedanken längst von allen Seiten betrachtet hatte.
Johanna stellte ihr Glas ab. »Ist sie heute wieder bei ihrem Sohn?«
Kuhl nickte. »Ja, sie hat vorhin erwähnt, dass sie mit einem Arzt
sprechen will, und ich hielt es für eine gute Idee, Sie einzuweihen und mit
Ihnen gemeinsam heute Abend nach dem Rechten zu sehen.« Die Staatsanwältin sah
wieder hinaus. »Ihr Wagen – ein roter Passat – steht da drüben. Einen Roller
habe ich bislang nicht entdeckt.«
»Was tun wir, wenn er auftaucht?«
»Vier Augen sehen mehr als zwei.«
Staatsanwältin Hannelore Maurer trat eine halbe Stunde später aus
der Tür. Es hatte angefangen zu regnen. Sie warf einen Blick nach oben und
spannte einen Schirm auf, dann eilte sie die Eingangsstufen hinunter und ging
mit flotten Schritten zu ihrem Wagen. Johanna spähte angestrengt zum Fenster
hinaus, während Annegret Kuhl eilig in ihre Jacke schlüpfte und bezahlte, aber
eine dunkel gekleidete Gestalt konnte sie nirgendwo entdecken, auch keinen
Roller. Hannelore Maurer öffnete ihre Wagentür, klemmte sich hinters Steuer und
fuhr Augenblicke später los. Kurz darauf verließen Johanna und Annegret Kuhl
die Kneipe.
Staatsanwältin Kuhl seufzte. »Was schlagen Sie vor?«
»Lassen Sie uns zu ihr nach Hause fahren. Vielleicht entdecken wir
dort etwas.«
Der rote Passat stand bereits auf dem hauseigenen Parkplatz, als
Johanna hinter Kuhls Wagen eintraf. Die Kommissarin parkte ihr Auto und wollte
gerade aussteigen, um sich zu Kuhl zu gesellen und auf deren Beifahrersitz
Platz zu nehmen, als sie aus den Augenwinkeln eine Bewegung mitbekam. Sie hielt
inne und sah durch den Rückspiegel. Zwischen dem dreistöckigen Mehrfamilienhaus
und dem Parkplatz befand sich ein eingemauerter Müllplatz. Dort stand jemand. Eine
schmale Gestalt lehnte an dem Gemäuer und blickte nach oben zu einem hell
erleuchteten Fenster. Der Regen schien ihr oder ihm überhaupt nichts
auszumachen.
Johanna rutschte tiefer in ihren Sitz und nestelte eilig ihr Handy
heraus, um Kuhl eine SMS zu schreiben – für den
Fall, dass die Staatsanwältin nichts bemerkt hatte und sich wunderte, dass
Johanna in ihrem Wagen sitzen blieb. Sie ging davon aus, dass Kuhl Verstärkung
anfordern würde – aber bis die eintraf, konnten Minuten vergehen, und ob dann
tatsächlich ein Zugriff gelang, durfte bezweifelt werden. Johanna biss sich auf
die Unterlippe. Und meine Zeit als mutige Actionheldin ist definitiv vorbei,
dachte sie. Sie ließ die Scheibe herunter und aktivierte die Kamerafunktion
ihres Handys.
Es war ihr klar, dass ihr in der Dunkelheit, noch dazu bei Regen und
auf die Entfernung, kaum ein vernünftiges Foto gelingen würde, aber einen
Versuch wollte sie trotzdem wagen, bevor der heimliche Beobachter oder die
heimliche Beobachterin sich auf und davon machte.
Dann ging alles sehr schnell. Ein Polizeiwagen bog um die Ecke. Die
Gestalt fuhr herum, und Johanna machte schnell hintereinander zwei Fotos, die
von grellem Blitzlicht untermalt wurden. Der Polizeiwagen stoppte. Im selben
Moment war die Person verschwunden.
***
Jörg Rauth war Stefan zugeflogen – ein Glücksfall. Er war in
seinem Videoladen aufgetaucht und hatte keinen Hehl daraus gemacht, ein Bulle
zu sein. Stefan hatte sich an seine Fersen geheftet oder ihn beobachten lassen
und schnell festgestellt, dass der Mann ein Fan von Sportwetten war. Alles
Weitere ergab sich nahezu von selbst. Manchmal war es lächerlich einfach, und
der Erfolg gab einem recht. Der Mann brauchte Geld – viel Geld –, und obwohl er
sich anfangs zierte, seine Berufsehre derart zu verletzen, konnte Stefan ihn
bemerkenswert schnell davon überzeugen, dass er eigentlich kaum etwas tun
musste und dafür sehr gut bezahlt wurde.
Rauth lieferte nicht nur wichtige Hinweise bezüglich der Abläufe des
Polizeiapparates in Berlin, er stellte auch den Kontakt zu Lange her und gab
darüber hinaus sensible Daten der Staatsanwaltschaft und einzelner überregional
arbeitender Dienststellen weiter. Außerdem mochte er viele Türken nicht, wie er
sagte, und konnte sich für die Ziele der Riege durchaus erwärmen. Dass es nicht
um Türken ging oder einen dummen Ausländerhass ohne tiefere Motive, verstand er
erst später. Seine größte Tat war jedoch die Ende
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