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Berlin Wolfsburg (German Edition)

Berlin Wolfsburg (German Edition)

Titel: Berlin Wolfsburg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Kuck
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regelmäßig aus der Videothek holte. Sie
wandte sich um und ging die Treppe nach unten. Das Flimmern des Fernsehers warf
unruhige Schatten in den Flur. Der Apparat war leise gestellt, und sie hörte
Bernds Schnarchen, aber als sie den Kopf zur Tür hineinsteckte, drang plötzlich
ein fürchterliches Schreien an ihr Ohr. Sie starrte auf den Bildschirm und
begann zu frieren. Drei Maskierte schlugen und traten abwechselnd auf einen
gefesselten Mann ein, der auf einem Holzstuhl vor ihnen saß – stumm,
unablässig, gnadenlos. Der Gefesselte blutete aus zahlreichen Wunden, seine
Augen waren geschlossen, sein Gesicht bebte, er wimmerte und schrie und
ermattete zusehends. Tanja biss sich auf die Fingerknöchel. Das ist kein Film,
dachte sie … um Gottes willen. Die foltern den Mann!
    »Niemals sprechen«, erklang plötzlich die Stimme eines Kommentators.
Eine absurd angenehme, sonore Stimme. Eine Märchenonkelstimme. »Wir erklären
uns nicht. Wir drohen und beschimpfen nicht. Wir erfüllen unsere Aufgabe: den
Feind, der uns vernichten will, zu verletzen und tiefe Furcht in sein Herz zu
pflanzen. Todesangst. Damit er bald nur noch ein Ziel hat – davonzulaufen.«
    Bernd bewegte den Kopf und brabbelte leise im Schlaf, wie ein Kind.
Tanja fuhr zurück und eilte auf leisen Sohlen die Treppe hinauf. Ihr Herz
raste. Sie brauchte lange, um wieder einzuschlafen, und als sie am nächsten
Morgen aufwachte und in Bernds friedliches Gesicht neben sich blickte, war sie
für einen Moment überzeugt, dass sie nur geträumt hatte. Einen irrwitzig fiesen
Traum.
    Sie schüttelte die Erinnerung ab. Sie hatte der Kommissarin nichts
davon erzählt. Sie wusste selbst nicht so genau, warum. Vielleicht schämte sie
sich, vielleicht traute sie ihrer eigenen Wahrnehmung nicht oder wollte Bernds
Familie noch größeren Kummer ersparen. Vielleicht wollte sie mit all dem auch
einfach nichts zu tun haben.
    Konnte es nicht sein, dass Bernd in einer wichtigen Ermittlung
gesteckt hatte? Und warum war ihr dieser Gedanke nicht schon eher gekommen?
Ganz einfach – weil er irgendwie schief klang.
    Sie waren an jenem Sonntagvormittag zügig aufgebrochen. Tanja hatte
es eilig gehabt. Sie erinnerte sich noch genau, dass Bernd kurz vor Berlin das
eigentümliche Schweigen im Wagen gebrochen und sich vor die Stirn geschlagen
hatte. »Scheiße – ich hab was liegen gelassen!«
    »Was Wichtiges?«
    »Ja, meinen Rucksack – ach was, ich hole ihn nächste Woche.«
    Tanja war froh, dass Bernd nicht umkehrte, und sie meinte sich zu
erinnern, dass er am darauffolgenden Wochenende keine Zeit gefunden hatte, nach
Güterfelde zu fahren.
    Vielleicht hat er den Rucksack abgeholt, als ich im Urlaub war,
überlegte sie. Und warum war das jetzt so wichtig? Sie konnte es nicht sagen,
aber sie wusste, dass sie die Sache nicht aus dem Kopf bekommen würde, solange
sie ihr nicht auf den Grund ging.
    Sie schloss die Balkontür und zog den Vorhang mit einer kraftvollen
Bewegung zu. Die Dielen knarrten, als sie in den Flur ging, um das Telefon zu
holen. Zehn Minuten später machte sie sich auf den Weg nach Güterfelde.

10
    Es roch nach Regen und Gewitter. Ein böig auffrischender
Wind fegte um die Häuser, zerrte an Bäumen und Büschen. Johanna hatte in einer
Nebenstraße etwas abseits hinter dem Gebäude geparkt, wie Annegret Kuhl es ihr
per SMS vorgeschlagen hatte. Die
Betreuungseinrichtung für schwerstbehinderte Kinder und Jugendliche war in
Hondelage ansässig, zwischen Braunschweig Ost und Flughafen gelegen und von
Wolfsburg aus in zwanzig Minuten zu erreichen.
    Johanna war immer noch perplex über Kuhls Geheimniskrämerei. Sie
hatte sich unterwegs mit Kaffee und Burger versorgt und vertilgte ihre
fetttriefende Mahlzeit mit großem Appetit und wenig Reue. Dafür war in zwanzig
Jahren noch genug Zeit. Die Staatsanwältin bog in ihrem Audi um die Ecke, als
Johanna sich die Hände abwischte und die leeren Pappkartons hinter dem Sitz
verstaute. Sie öffnete die Beifahrertür, als Kuhl sich herunterbeugte.
    »Ein ungewöhnlicher Ort für eine Freitagabend-Einladung«, meinte
Johanna und deutete ein Grinsen an.
    Kuhl lächelte kurz. »Kommen Sie – auf der anderen Straßenseite,
gegenüber dem Heim gibt es eine nette Kneipe.«
    »Und warum parken wir dann hier?«
    »Um mit unseren Wagen nicht aufzufallen.«
    »Aha.«
    Die Gaststätte war gemütlich, bieder, dörflich.
Stammtisch-Atmosphäre. Es roch nach Pommes und Schnitzel. Der Wirt sah aus, wie
man sich einen Wirt

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