Berndorf 07 - Trotzkis Narr
Fernseher an der Wand befestigt, und vom Nachtportier hat er sich zwei Flaschen Bier geben lassen, dass ihm die Stullen von der Maria nicht so trocken runtergehen. Natürlich hätte er auch essen gehen können, bei irgendeinem Chinesen oder sonst einem Ausländer, aber Patzerts Hose ist ihm zu weit, und er kommt sich komisch darin vor.
Eine neue Hose ist das Erste, was er sich morgen besorgen wird – nein, als Erstes geht er zu einem Friseur. Die Idee dazu war ihm unten gekommen, an der Rezeption, als er sich mit dem Namen Dolf Patzert eintrug. Der Nachtportier wollte zwar sehen, ob er Papiere hat, schaute sich dann aber Patzerts Reisepass gar nicht erst an, sondern wollte nur die Nacht im Voraus bezahlt haben. Dolf Patzert wäre übrigens falsch gewesen, Detlef steht im Pass, naja, wer will schon so heißen!
Spielberichte gucken, wenn die eigene Mannschaft verloren hat, ist bescheuert. Er zappt durch die Fernseh-Kanäle, vielleicht haben sie in dieser Absteige ein Programm mit Pornos, und ist schon drei Stationen weiter, als er plötzlich innehält und zurück zum Regionalsender Berlin-Brandenburg geht. Ein Sprecher liest dort Nachrichten aus der Region vor, Harlass legt die Zappe zur Seite, rutscht im Bett zurück und setzt sich auf …
»… im Fall des mutmaßlichen Doppelmörders Lutz Harlass« – auf dem Bildschirm wird das alte Polizei-Foto eingeblendet – »haben sich jetzt die Berliner Justizbehörden an die Öffentlichkeit gewandt und um Hinweise auf den Verbleib von Harlass gebeten. Zugleich warnen die Justizbehörden eindringlich vor dem Gewalttäter, der bewaffnet und äußerst gefährlich ist.«
Auf dem Bildschirm wird eine Filmsequenz eingeblendet, in der die Leitende Staatsanwältin Dagmar Wohlfrom-Kühn an einem Tisch zu sehen ist, vor ihr steht ein Mikrofon, und dann ist sie auch selbst zu hören:
»Zum gegenwärtigen Zeitpunkt gehen wir davon aus, dass es sich bei Harlass um einen Einzeltäter handelt. Das bedeutet nicht, dass unsere Ermittlungen nicht in alle Richtungen geführt werden. Nur haben wir bisher keinen Hinweis gefunden, dass Harlass etwa im Auftrag einer terroristischen Gruppierung gehandelt hätte oder im Zusammenwirken mit ihr. Damit wird Harlass« – die Staatsanwältin hebt warnend oder mahnend die rechte Hand – »um nichts weniger gefährlich. Zwar gilt in unserem Land – zum Glück! – die Unschuldsvermutung, wir suchen Lutz Harlass, wir halten ihn für dringend tatverdächtig, aber über seine Schuld kann erst das Gericht entscheiden. Trotzdem müssen wir der Bevölkerung ganz klar sagen, dass dieser Mann eine tickende Zeitbombe darstellt.«
Harlass, inzwischen im Schneidersitz, greift zum Nachttisch und setzt die Flasche Bier zu einem kräftigen Schluck an. Auf dem Bildschirm erscheint ein Mann, der neben der Staatsanwältin sitzt, ein Mann mit dunklen, nach hinten gekämmten Haaren und aufmerksamen dunklen Augen. Harlass setzt die Flasche wieder ab, ohne getrunken zu haben, und starrt auf den Bildschirm, denn dort wird jetzt der Name des Mannes eingeblendet …
D ie Fachfrau bist ja du«, sagt Professor Eberhard Wohlfrom und nimmt noch etwas vom Roquefort, »aber ich frage mich, ob für moderne Zeitzünder nicht digitale Systeme verwendet werden, und wenn ja, ob die dann wirklich ticken?«
»Sei still, du alter Wortklauber!« Mit ihrer rechten Hand schlägt Staatsanwältin Wohlfrom-Kühn nach ihrem Mann wie nach einem lästigen Insekt oder tut vielmehr so, als sei er so etwas. »Da kommt noch was …«
Auf dem Bildschirm des Fernsehers erscheint der Kommissar, den Karen bereits am Sonntagmorgen im Spandauer Forst gesehen hat. Schon damals war er ihr ein wenig farblos vorgekommen, wie einer dieser unscheinbaren Männer im Hintergrund, die es in jeder Hierarchie gibt und die gerade darum unentbehrlich erscheinen, weil niemand weiß, was sie eigentlich tun. Jetzt, auf dem Bildschirm und dort neben der Staatsanwältin und ihrer erdrückenden Präsenz, wirkt er fast bemitleidenswert.
»… kann nur unterstreichen, was die Frau Staatsanwältin gerade …« Ah ja, denkt Karen, das ist der, der zum Unterstreichen da ist. »Wir müssen aber davon ausgehen, dass Lutz Harlass doch Unterstützer gefunden hat, die ihn beherbergen, und wir können diese Personen nur eindringlich warnen. Auch sie befinden sich in Gefahr, in großer Gefahr …« Dann verschwindet der Kommissar, auf dem Bildschirm erscheint wieder der Nachrichtensprecher und kündigt an, dass die Zuschauer
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