Berndorf 07 - Trotzkis Narr
eine Vereinbarung, erinnern Sie sich?«, sagt Berndorf. »Ich nenne Ihnen den Drahtzieher, und wir sind miteinander im Geschäft – hatten Sie es nicht so formuliert?«
Finklin drückt seine Zigarette aus. »Den haben nicht Sie mir genannt. Der hat sich selbst geoutet, heißt das nicht heute so? Und da wir gerade dabei sind: Solange die Justiz von Teufels Küchenland diesen Menschen nicht befragt, warum um alles in der Welt er mitten in einer Dichterlesung …« – er nimmt die Zeitung, die vor ihm liegt, und hebt sie hoch, so dass die Be sucher die Schlagzeile lesen können – »… eine Schießerei anzet telt, solange kann sie von mir keinerlei Auskunft erwarten …« Er wirft einen Blick auf seine Armbanduhr. »Aber jetzt entschuldigen Sie, ich würde gerne Nachrichten hören!« Dann dreht er sich um und schaltet das Radio ein, das im Bücherregal hinter ihm steht. Es ist eines der Geräte, deren Lautsprecher sich hinter einer Stoffbespannung befinden und die noch das grünleuchtende magische Auge haben.
Noch läuft Werbung, dann kommen Weltnachrichten, Bürgerkrieg in Syrien, Schuldenkrise in den südeuropäischen Ländern, eine weitere Erhöhung der Rüstungsausgaben in den USA , in Berlin hat die Staatspartei bei der Sonntagsfrage um zwei Prozentpunkte zugelegt, Berndorf muss ein Gähnen unterdrücken, und Hexe hat eine Pfote auf seine Hand gelegt …
»… Berlin. Der mutmaßliche Gewalttäter Lutz Harlass, der am Donnerstagabend bei einem Schusswechsel mit einem Polizeibeamten schwer verletzt wurde, befindet sich nicht mehr in Lebensgefahr. Der 26jährige soll voraussichtlich noch heute in das Justizvollzugskrankenhaus Berlin verlegt werden. Justiz- und Innensenator Holger Missenpfuhl hat inzwischen die Polizei gegen den Vorwurf verteidigt, sie hätte bei der versuchten Festnahme von Harlass das Leben Unbeteiligter gefährdet. Lutz Harlass sei dringend verdächtig, mindestens zwei, wahrscheinlich aber drei äußerst brutale Morde begangen zu haben, und habe weitere Anschläge geplant. Deshalb habe sofort gehandelt werden müssen …«
Der Nachrichtensprecher leitet zu den Wirtschaftsthemen über und teilt mit, nach Ansicht des Bundeswirtschaftsministeriums seien deutsche Unternehmen von den Ermittlungen der US -Börsenaufsicht wegen illegaler Provisionszahlungen nicht betroffen … Warum sie nicht betroffen sein können, erfährt man aber nicht, denn Finklin schaltet das Radio wieder aus.
»Da wissen Sie jetzt, was die Berliner Justiz tun wird«, stellt Dingeldey fest. »Und um davon abzulenken, was sie nicht tut oder nicht tun darf, wird sie sich mit umso größerem Diensteifer auf die Leute stürzen, die nicht unter dem Schutz des Justizsenators stehen. Vor allem, wenn diese Leute die Angriffsflächen frei Haus liefern.«
Berndorf zieht seine Hand unter Hexes Pfote vor, und Finklin, der schon dabei ist, zu Tabaksbeutel und Zigarettenpapier zu greifen, blickt auf. »Ist ja gut«, sagt er, und seine Stimme klingt plötzlich müde. Er beugt sich zu einer Seitenschublade seines Schreibtisches, zieht sie auf, holt erst einen großformatigen Band hervor, dann einen Akten-Ordner, und schiebt beides über den Schreibtisch zu Dingeldey. »Das war beides noch in der Tasche, die Harlass bei sich hatte«, erklärt er.
»Und wann haben Sie es an sich genommen?«, fragt Dingeldey, während er den Band betrachtet, bei dem es sich laut Titel um eine »Untersuchung von Bodengrund und Altlasten im Bereich Zehlendorf/Krumme Lanke« handelt.
»Wie oft soll ich das noch erzählen?«, fragt Finklin. »Der war wirklich hier, fragte wirklich nach Arbeit und hat tatsächlich versucht, im Schuppen Holz zu hacken. Nur konnte er es nicht und ist dann auch kollabiert. Der hatte zu viel Scheiße im Gehirn und zu viel Eiter in den Mandeln.«
Dingeldey hat den Band an Berndorf weitergegeben und ist jetzt dabei, den Aktenordner durchzusehen. Berndorf steht auf und geht zum Fenster, um die Bleistiftnotiz auf dem Titelblatt besser zu sehen – den Bleistiftkringel, der um den Namen des angeblichen Verfassers Frieder Plogstett gezogen ist, und das Fragezeichen, das samt Finklins Name und Adresse daneben gekritzelt ist. Er deutet auf den Drucker, der neben Finklins Schreibtisch steht, und fragt, ob er eine Kopie vom Titelblatt bekommen kann, »am besten mit einer Vergrößerung dieser Notiz hier?« Finklin zuckt mit den Schultern, steht dann aber wortlos auf, schaltet den Drucker ein und legt den Band ein. Er braucht ein paar
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