Berndorf 07 - Trotzkis Narr
sich, bevor sie dann doch Buchhalter bei den Stadtwerken oder Kassiererin bei Aldi werden.
Oder freie Journalistin, nach Pauschale entlohnt.
Vorbei! Für eine Weile wird sie mit dem Schreiben aufhören. Landhausmode! An dieses Wort auch nur zu denken, bereitet Übelkeit. Was aber kommt nach dem Schreiben? Muss man das wissen? Es wird sich finden. Irgendetwas wird ihr über den Weg laufen. Hätte sie in irgendeiner Weise ausrechnen können, dass ihr heute diese Frau in Schnallenschuhen nachläuft? Oder der Schleicher in der Windbluse?
Was wollten die? Herausfinden, wohin sie geht und zu wem. Warum? Vermutlich, weil sie dafür bezahlt werden. Von wem? Von einem unbekannten Dritten, der im Dunkeln hockt wie der Kunde in der Peep-Show, mit ihr auf der Drehscheibe. Aber was gibt es da zu sehen? Nichts, denkt sie, nichts, was man in einer wirklichen Peep-Show nicht billiger und freizügiger geboten bekäme.
Ein grünes Licht blinkt, offenbar die ganze Zeit schon. Hat Stefan angerufen? Es wird später werden, was sonst, wenn er einen Geschäftsfreund zu betreuen hat, einen russischen gar … Sie geht zum Telefon, nimmt den Hörer und drückt die Taste für den Anrufbeantworter, eine klare, energische Stimme dringt an ihr Ohr:
»Hier spricht Dagmar Wohlfrom-Kühn, es ist Freitag, kurz nach fünfzehn Uhr dreißig, liebe Karen Andermatt, ich wollte Sie fragen, ob Sie und Ihr Mann am Sonntag Zeit und Lust hätten, uns bei einem Brunch Gesellschaft zu leisten? Ich hätte danach gerne etwas mit Ihnen besprochen, unter vier Augen.«
Ein Lichtschein huscht über das Fenster, leises schnurrendes Motorengeräusch, fast unhörbar, dann das Klappen des sich öffnenden Garagentors. Karen legt den Hörer zurück, etwas ratlos. Was will diese Frau, unter vier Augen? Eine Wagentür wird sanft geschlossen, das Garagentor klappt wieder zu, jemand öffnet die Haustür. Gleich wird Stefan nach ihr rufen, aber sie hat keine Lust, angehuscht zu kommen wie das Hündchen, das auf das Herrchen wartet, ach!, den ganzen Abend schon.
Niemand ruft. Ein Entspannungsbier? Ist alles da. Wenn ich hier nur noch einen Moment sitzen bleiben kann, im Dunklen, Stillen … Sie will die Augen schließen, aber ein krachender Schlag schreckt sie auf, Gedudel dröhnt durchs Haus, sie hält sich die Ohren zu, dann ebbt der Lärm ab, Radio oder Fernsehen? Ein Sender nach dem anderen wird aufgerufen, überall Gedudel oder Disco-Wummern: also Radio. Dann eine Stimme, sie klingt nach Nachrichten oder Verkehrsmeldungen, die Stimme darf weiterreden, was soll denn los sein an diesem Abend?
Karen mag sich nicht länger im Dunklen verstecken. Stefan ist ihr Mann, und ihr Mann muss wissen, dass ihr da Leute nachspionieren. Wenn sie ihm das nicht sagen kann, wozu ist ihre Ehe dann noch gut? Sie schaltet die Leselampe ein, steht auf und geht barfuß zur Tür und hinaus auf die Galerie. Stefan steht vor der Konsole mit dem Radio, den Kopf leicht erhoben. Offenbar hat er aber die Bewegung wahrgenommen, mit der Karen sich über das Geländer der Galerie beugt, und blickt zu ihr hoch. Sie erschrickt: Aus dieser Perspektive sieht sein von der Sauna gerötetes Gesicht seltsam verzerrt aus, fast krank. Er hebt die Hand und deutet mit der anderen auf das Radio, es gibt Wichtigeres als sie …
»… vor dem Hallenbad Holzmarktstraße ist am späten Freitagabend ein Badegast erschossen worden. Der Täter konnte auf einem Fahrrad flüchten und ist trotz einer sofort eingeleiteten Fahndung bisher nicht gefunden worden. Über die Hintergründe der Schießerei besteht bisher völlige Unklarheit. Wir tappen noch im Dunklen, erklärte ein Sprecher der Berliner Polizei gegenüber Radio Fünf Neunundsechzig … Potsdam. Die neuerliche Kostensteigerung beim Bau des Berliner Großflughafens …«
Die Stimme des Sprechers kippt ab, denn Stefan hat den Ton abgeschaltet. »Das muss«, sagt er und blickt wieder zu ihr nach oben, »gewesen sein, kurz nachdem wir dort weggefahren sind …«
Erst jetzt realisiert Karen, dass Stefans Sauna-Abende in ebenjenem Hallenbad Holzmarktstraße stattfinden. Dass sie zum Begreifen so lange gebraucht hat, macht sie doppelt hilflos.
»Wir haben nichts gesehen und nichts gehört«, fährt Stefan fort. »Deswegen macht es auch keinen Sinn, dass ich mich jetzt gleich bei der Polizei melde.«
Karen kann es nicht leiden, wenn jemand davon spricht, dass etwas Sinn macht. Oder eben keinen. Was sie sagen will, ist etwas anders. Aber sie kommt nicht dazu.
»Aber
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