Berndorf 07 - Trotzkis Narr
ich muss Stukkart verständigen«, fährt Stefan fort. »Auch wenn ihm das nicht gefallen wird, mitten in der Nacht. Unter Umständen werden wir sogar einen Anwalt zuziehen müssen, einen Anwalt, dem gegenüber Ruzkow eine eidesstattliche Erklärung abgeben kann, bevor er morgen nach Moskau zurückfliegt. Das wird wohl eine lange Nacht …« Er wendet sich ab und geht in sein Arbeitszimmer.
Dann eben nicht!, denkt Karen und geht ins Bad, den Tag von der Haut duschen und mit dem Tag die ferne Erinnerung an einen Hauch von Spaghetti all’aglio.
Samstag
B erndorf hat einen Tee aufgegossen, an der Wand die gerahmte Fotografie des Ulmer Münsterturms gerade gerückt und einen Block samt Kugelschreiber bereitgelegt. Eigentlich mag er keine Kugelschreiber, aber sein Füller kleckst. Er müsste sich einen neuen kaufen. Aber wo kommen wir hin, wenn man alles wegwirft, was mit den Jahren ein wenig undicht wird? Er zündet den Rechaud für die Teekanne an und blickt sich prüfend um.
Warum fällt ihm gerade heute auf, wie schäbig dieses Büro ist? Staubig ist es auch. Ergeben geht er in das kleine Bad und findet dort wider Erwarten einen Staublappen, öffnet das Fenster und will den Lappen ausschütteln.
Berndorfs Büro befindet sich im Hochparterre. Aber unten auf der Straße kommt eben jetzt eine junge Frau vorbei, eine in Berndorfs Augen junge Frau: heller Übergangsmantel, Kragen hochgeschlagen, windgezaustes kastanienbraunes Haar …
»Guten Morgen«, sagt Berndorf, sich aus dem Fenster beugend, den Lappen in der Hand, »falls Sie zu mir wollen – nur herein!«
Karen Andermatt ist stehen geblieben und erwidert den Gruß, dann will sie wissen, ob sie zu früh gekommen ist. »Keineswegs!«, versichert Berndorf und weist einladend zum Hauseingang. Er schließt das Fenster, geht zum Schreibtisch und drückt auf den Türöffner, bis er hört, dass die Haustüre auch tatsächlich aufgestoßen wird. Am Eingang zu seinem Büro nimmt er die Besucherin in Empfang; als er ihr den Mantel abnehmen will, stellt er fest, dass er in der einen Hand noch immer den Staublappen hat. Also stopft er ihn in die Hosentasche.
Karen Andermatt lässt sich zu dem Besucherstuhl geleiten, ohne sich groß umzusehen. Vermutlich hat sie auf den ersten Blick festgestellt, denkt Berndorf, dass es taktvoller sei, dies nicht zu tun. Sie akzeptiert eine Tasse Tee, will aber keinen Zucker und auch keinen Kandis dazu.
Schließlich sitzen sie sich gegenüber, Berndorf erlaubt sich eine kurze Musterung: beiger Rollkragenpullover, hellbraune Kostümjacke, kein Schmuck. Als er ihr den Mantel abnahm, hat er den Hauch eines sehr zurückhaltenden Parfüms bemerkt. Vielleicht auch nur ein Eau de Cologne … Make-up? Kann er nicht beurteilen. Aber um die Augen ist Müdigkeit.
»Haben Sie mit Ihrem Mann gesprochen?«
»Gesprochen? Über diese Leute gestern? Und über dieses Ding an meinem Auto? Nein, habe ich nicht.« Sie zieht die Augenbrauen zusammen und stellt Tee- samt Untertasse zurück auf den Schreibtisch. »Es hat sich nicht ergeben.«
»Sie werden aber mit ihm reden müssen«, sagt Berndorf. »Die beiden Leute, die Ihnen nachgespürt haben – die kommen möglicherweise von einer Agentur, die fast ausschließlich für den Regnier-Konzern arbeitet. Es ist die Agentur Meunier und Kadritzke.« Er will hinzufügen, dass es sich bei Meunier und Kadritzke um ehemalige Stasi-Offiziere handelt, aber wozu wäre eine solche Information gut?
»Was bedeutet das?«
»Da gibt es mehrere Szenarien«, antwortet Berndorf ausweichend. »Denkbar ist zum Beispiel, dass man Sie in eine Sicherheitsüberprüfung Ihres Mannes einbezogen hat … Kann es sein, dass Ihr Mann vor einer Beförderung steht oder mit einer besonders heiklen oder schwierigen Aufgabe betraut werden soll?«
»Von einer Beförderung weiß ich nichts«, sagt Karen abweisend. »Aber was heikle oder schwierige Dinge angeht – haben Sie heute schon Nachrichten gehört? Über die Schießerei an diesem Hallenbad hier in Berlin?«
»Ob ich …?« Berndorf stutzt. Was war da gewesen? Ja doch, ein Toter, der Täter auf dem Fahrrad geflüchtet … »Gewiss. Hallenbad Holzmarktstraße. Heute Morgen kam im Radio einiges darüber. Warum?«
»Mein Mann war – nein, unmittelbar dabei war er nicht. Aber er war gestern Abend in der Sauna dort, mit einigen Bekannten, und der Mann, der erschossen wurde, der hat zu diesem Kreis gehört …«
»Ihr Mann, so haben Sie gesagt, war nicht unmittelbar dabei
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